Butscha nach Abzug der Russen Beerdigt, wo es gerade möglich war
Überall Sprengfallen und Gräber in Privatgärten - so sieht es in Vororten von Kiew aus, aus denen die russischen Truppen abgezogen sind. Sie werden jetzt versuchen, Charkiw einzunehmen, vermutet die ukrainische Regierung.
Das Gebiet Kiew ist offenbar wieder frei - frei von russischen Truppen, aber nicht von ihren Geschossen und Minen. In den stark zerstörten Vororten sind deshalb zurzeit Sprengkommandos unterwegs. "Es gibt extra aufgestellte Sprengfallen, die die Russen hinterlassen haben", sagt Bogdan Daniljuk vom zuständigen Notfalldienst. Auch Autos könnten vermint sein. "Wenn man die Tür aufmacht, kann sich eine Explosion ereignen. Unter Leichen könnten sich Granaten befinden - und wenn man den Körper bewegt, könnten sie hochgehen."
Minen müssen beseitigt werden
Nach den Angaben der UN ist die Ukraine ohnehin eines der am stärksten durch Minen belastete Länder der Welt. Mehr als 1,8 Millionen Menschen lebten acht Jahre lang von Minen umgeben. Durch den Angriffskrieg Russlands dürfte diese Zahl inzwischen deutlich größer sein.
Sprengfallen und Geschosse beseitigen und getötete Zivilisten bergen - darum geht es jetzt im Nordwesten von Kiew. In all den Orten und Siedlungen, wo der Krieg gewütet und Leben ausgelöscht hat. In Worsel, Hostomel, Irpin, Borodyanka und natürlich in Butscha.
Der dortige Bürgermeister rief heute die Mitarbeiter der Kommunaldienste und die Ärzte des Krankenhauses dazu auf, zurückzukehren und die Arbeit aufzunehmen. In Butscha gibt es keinen Strom, kein Gas und keine Mobilfunkverbindung. Die ukrainischen Medien zeigten, dass die Soldaten versuchen, die Menschen mit etwas warmem Essen zu versorgen.
Bei vielen Leichen, die in Butscha gefunden wurden, waren die Hände gefesselt.
Immer wieder Gräber mitten in Privatgärten
"Wir kochen Buchweizenbrei mit Schmalzfleisch - das, was eben geht - hier vor Ort in der Feldküche", sagt ein Soldat. Im Kiewer Satellitenstädtchen wird Hilfe verteilt, auf Videos ist eine lange Schlange zu sehen - Menschen stehen offenbar für Medikamente an.
In Höfen und Kellern werden weitere Leichen entdeckt. Augenzeugen beschreiben, viele Erschossene hätten gefesselte Hände und verbundene Augen. Aufnahmen aus Butscha zeigen immer wieder Gräber mitten in Privatgärten.
Klitschko warnt vor Rückkehr nach Kiew
Um die Gräueltaten von Butscha aufzuklären, hat die Ukraine eine internationale Ermittlergruppe ins Leben gerufen. Sie ist bei der Generalstaatsanwaltschaft angesiedelt. Die EU und die USA haben bereits zugesagt, erfahrene Ermittler und Fachkräfte zu entsenden. Mit den Geschehnissen befasst sich heute auch der UN-Sicherheitsrat. Präsident Wolodymyr Selenskij wird der Sitzung zugeschaltet.
In der ukrainischen Hauptstadt dagegen scheint sich die Situation etwas zu entspannen. Richtig aufatmen kann Kiew offenbar jedoch noch nicht. Bürgermeister Vitali Klitschko bat die geflüchteten Bewohner, sich vorerst nicht auf den Rückweg nach Hause zu machen. Sie sollten noch eine Woche abwarten, schrieb Klitschko. Der Bürgermeister hält noch Raketenangriffe für möglich.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Charkiw jetzt im Fokus?
Nach dem Rückzug aus der Region Kiew würde Russland versuchen, die Stadt Charkiw einzunehmen - davon geht das Verteidigungsministerium der Ukraine aus. Charkiw, die zweitgrößte Stadt des Landes, ist überwiegend russischsprachig. Vor dem Ausbruch des Krieges lebten dort 1,5 Millionen Menschen. Die Grenze zu Russland ist nur 40 Kilometer entfernt.
Mariupoler Szenario in Charkiw verhindern
Raketeneinschläge und Artilleriebeschuss erreichten Charkiw schon in den ersten Kriegstagen. "Unsere Streitkräfte halten ihre Positionen, in einigen Richtungen versuchen wir, die russischen Truppen zu verdrängen", sagt der Leiter der Regionalbehörde, Oleg Sinehubow. "Aber wir verstehen sehr gut, wozu der Feind fähig ist, wir sehen seine Manöver und Umgruppierungen. Unser Militär bereitet sich vor. Die feindlichen Einheiten werden es nicht schaffen, sich kurz vor der Stadt Charkiw aufzustellen."
Für Charkiw gilt es wohl das Mariupoler Szenario zu verhindern. Die Lage spitzt sich aktuell im Osten und Süden des Landes weiter zu. Aus dem Gebiet Luhansk melden die lokalen Behörden starken Beschuss und eine Intensivierung der Kämpfe. Im Donbass rechnet das ukrainische Militär demnächst mit massiven Angriffen.