Lage im Norden des Landes Ukraine meldet Beschuss statt Rückzug
Explosionen in Kiew und ein "kolossaler Granatenangriff" auf Tschernihiw: Nach ukrainischen Angaben dauert der russische Beschuss an - entgegen russischen Versprechen. Die USA rechnen mit Großangriffen in anderen Landesteilen.
Die russische Delegation hatte bei den Verhandlungen in Istanbul am Dienstag angekündigt, dass die russischen Truppen im Großraum Kiew und rund um die Großstadt Tschernihiw im Norden der Ukraine umgruppiert werden sollen. Die Kampfhandlungen sollten demnach zurückgefahren werden. Doch offenbar gab es dort erneut Angriffe.
Am Morgen waren aus den nördlichen Vororten Kiews intensive Angriffe zu hören, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Nach Angaben des Bürgermeisters von Tschernihiw, Wladyslaw Astroschenko, gab es auch dort wieder Angriffe. In der Stadt sind 100.000 Menschen eingekesselt.
"Das ist eine weitere Bestätigung dafür, dass Russland immer lügt", sagte Astroschenko dem US-Sender CNN. "Sie haben tatsächlich die Intensität ihrer Angriffe erhöht." Im Zentrum der Stadt haben es einen "kolossalen Granatenangriff" gegeben. 25 Zivilisten seien verletzt worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Gouverneur: 15 Tote in Mykolajiw
Im Kiewer Vorort Irpin sind seit Kriegsbeginn dem Bürgermeister zufolge mindestens 200 Menschen getötet worden. "Ich denke, dass ungefähr 200 oder 300 Menschen leider gestorben sind", sagte Oleksandr Markuschin vor Journalisten. Die ukrainischen Truppen hatten die Stadt nach Regierungsangaben am Montag von russischen Truppen zurückerobert.
Im südukrainischen Mykolajiw sind dem Gouverneur des Gebiets zufolge mindestens 15 Menschen bei einem Raketenangriff auf die Gebietsverwaltung getötet worden. 34 Menschen seien verletzt worden, teilte Witalij Kim im Messengerdienst Telegram mit.
Fluchtkorridor in Mariupol erneut gescheitert
Die russischen Truppen benutzten Phosphorbomben und beschossen Ortschaften entlang der Frontlinie in Donezk, sagte der Gouverneur des Gebiets, Pavlo Kyrylenko, im ukrainischen Fernsehen. Ein neuer Versuch, Zivilisten aus Mariupol zu evakuieren, sei gescheitert. Die Menschen würden nicht durch die Fluchtkorridore gelassen.
Ankündigung sollte Vertrauen schaffen
Die Rückzugsankündigung der russischen Delegation sollte Vertrauen schaffen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, die Ukrainer hätten in 34 Tagen russischer Invasion und acht Jahren Krieg in der Ostukraine gelernt, dass man nur darauf vertrauen könne, was tatsächlich passiere.
In den USA und Großbritannien vermuten die Regierungen, dass der Rückzug vor allem deshalb angekündigt wurde, weil die russischen Truppen schwere Verluste erlitten haben. "Wir alle sollten uns auf eine Großoffensive gegen andere Gebiete der Ukraine einstellen", sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Städte weiter unter Beschuss
Dem britischen Verteidigungsministerium zufolge sollen sich russische Streitkräfte nach Belarus und Russland zurückziehen, um dort neue Ausstattung zu erhalten und sich neu zu organisieren. "Ich wäre sehr vorsichtig damit, das, was aus Putins Kriegsmaschinerie kommt, für bare Münze zu nehmen", sagte der britische Vize-Premier Dominic Raab "Times Radio". Ukrainische Städte seien weiterhin heftigem Artillerie- und Raketenbeschuss ausgesetzt.
Bei der Verhandlung in Istanbul hatte die Ukraine angeboten, auf einen NATO-Beitritt zu verzichten und einen neutralen Status einzunehmen, wenn es Sicherheitsgarantien gebe. Für die 2014 von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim solle es zudem eine 15-jährige Übergangsregel geben. Bevor es eine Volksabstimmung über eine Friedensvereinbarung mit Russland gebe, müssten sich die russischen Truppen aber auf die Positionen vom 23. Februar zurückziehen.