Ein LKW Fahrer steht im Mais den er auf seinem LKW geladen hat.
reportage

Getreideexport aus der Ukraine Mit den Lkw-Fahrern unterwegs zu den Donauhäfen

Stand: 04.08.2023 12:15 Uhr

Seit Russland aus dem Getreideabkommen ausgestiegen ist, versucht die Ukraine, ihre Exporte über Donauhäfen abzuwickeln. Doch das Umladen von Lkw auf Schiffe dauert lange - und ist nicht ungefährlich.

Von Andrea Beer, ARD Kiew, zzt. Odessa

Lkw-Fahrer Juryi Dubuschak klettert auf seinen weißen 40-Tonner, öffnet die dunkle Plane und steigt in den Container hinunter. Seine Füße versinken in 25 Tonnen goldenem Mais aus der Region Poltawa. Der Mais soll über Orliwka verschifft werden, einem der Donauhäfen, über die ukrainischer Mais, Weizen, Gerste oder andere landwirtschaftliche Produkte ins Ausland gelangen.

Im Mai 2023 wurden rund drei Millionen Tonnen Getreide über diese Häfen transportiert. Grundsätzlich ist das eine gute Menge, doch weit weniger als das, was über das Schwarze Meer möglich wäre. Im Moment ist das jedoch die wichtigste Alternative. Deswegen wartet Dubuschak seit fünf Tagen, seinen Mais im Donauhafen Orliwka entladen zu können.

"Das ist ein kleiner Hafen und nur wenige Schiffe kommen, um das Getreide abzuholen", erklärt er. In Reni sei der Hafen größer. "Aber seit die Russen die Donauhäfen beschießen, gibt es auch dort lange Wartezeiten beim Entladen."

Karte Ukraine mit Häfen an der Donau und anliegenden Ländern, schraffiert: von Russland besetzte Gebiete

Die ukrainischen Donauhäfen Orliwka, Ismajil und Reni.

Rückstaus und Verkehrschaos in der Region Odessa

Die Folge sind endlos wirkende Rückstaus in diesem Teil der Region Odessa, die sich mit Unterbrechungen über weit mehr als 100 Kilometer hinziehen. Getreidelaster steht an Getreidelaster, und die mehr oder weniger einzige Straße ist so verstopft, dass Autos auf der Gegenfahrbahn fahren oder sogar auf Feldwege ausweichen müssen.

Für die knapp 300 Kilometer von Odessa nach Orliwka brauchte auch Dubuschak zwei Tage mit Stop-and-go. Er entlädt zum ersten Mal in Orliwka, doch auch in den Häfen Reni und Ismajil dauere es mehrere Tage, erzählt der 50-jährige Familienvater aus der Region Cherson. "Ich muss lange warten."

Entlang einer Straße stehen zu beiden Seiten viele Lkw hintereinander.

In der Region Odessa gibt es kilometerlange Staus mit Getreidelastern, die zu den ukrainischen Donauhäfen unterwegs sind.

Kein Schutzraum, schlechte hygienische Bedingungen für Fahrer

Für das Entladen im kleinen Orliwka hat Dubuschak die nötigen Dokumente eingereicht und auch die obligatorische Getreidequalitätskontrolle ist erledigt. Nun wartet er auf den erlösenden Anruf des Hafenmeisters.

Bis dahin steht er auf einem provisorischen Lkw-Parkplatz an der lauten Straße, durch die sich der gesamte Schwerverkehr an die ukrainischen Donauhäfen quälen muss. In sengender Sonne, mit äußerst bescheidenen Wellblechduschen und Toiletten. Und ohne Schutzraum, den er im Fall eines russischen Raketen- oder Drohnenangriffs aufsuchen könnte, was eine reale Gefahr ist.

Dubuschak zeigt auf die Rauchschwaden über dem Hafen Ismajil, die von Orliwka aus gut zu sehen sind. Den jüngsten russischen Angriff auf diesen Hafen erlebte er hautnah mit. "Natürlich ist das gefährlich", sagt er. Als die Hafenanlage von Ismajil diese Woche angegriffen wurde, sei er auf ein Feld gerannt und habe dort gewartet. "Ich habe 16 Einschläge gezählt", erinnert er sich.

Großer Frust

Ein paar Meter weiter stehen die Fahrer zusammen und unterhalten sich. Auch sie müssen bis zum Entladen die Zeit totschlagen, und der Frust ist groß. Durch Sperrstunden und bestimmte Fahrzeitregeln fühlten sie sich ohnehin gefesselt und nun müssten sie auch noch warten. Ein großer grüner Lkw steckt auf dem nicht asphaltierten Parkplatz nach dem letzten Regenguss fest. "Wenn es regnet, kommen wir gar nicht mehr von hier weg. Wir können nicht entladen und kein Getreide exportieren", schimpft einer.

Er zeigt auf den kleinen Gaskocher zwischen zwei Lkw, wo sie kochen und essen müssen. In Deutschland gäbe es so etwas nicht, sind sich die Männer sicher. Sie bräuchten gute Parkplätze und hygienische Bedingungen. "Die Ukraine will unbedingt Getreide exportieren, aber an uns Fahrer denken sie nicht", sagt ein anderer.

Ein LKW Fahrer sitzt zwischen zwei LKW auf einem Hocker und telefoniert.

Die wartenden Lkw-Fahrer kochen und essen zwischen ihren Fahrzeugen.

Verkäuferin setzt auf Russland

Zum Einkaufen gehen die Männer ein paar Kilometer die Straße entlang zu einem kleinen Laden, der Kaffee, Getränke, Kekse, Wurst, Obst und frisches Brot anbietet. Die rundliche Verkäuferin kassiert und verdreht die Augen angesichts der vielen Lkw, die sich in der Gegend stauen. Aus ihrer Sympathie für Russland macht sie kein Hehl. "Wann werden wir endlich befreit?", fragt sie leicht provozierend, und ein Kunde nickt dazu. Auch hier gebe es viele Opfer jahrelanger russischer Propaganda, sagt Dubuschak, doch er hat keine Lust zu streiten.

Er werde pro Fahrt und Menge anteilig bezahlt, und für diese Tour bekomme er umgerechnet knapp 190 Euro, plus Zulagen, weil es so lange dauern würde, erzählt der Familienvater.

Die ukrainische Eisenbahnlinie und eine wichtige Brücke aus Richtung Odessa zu den Donauhäfen Reni, Ismajil und Orliwka hat Russland schon vor mehr als einem Jahr mit mehreren Angriffen zerstört. Die laute Straße, auf denen nun Lkw das Getreide dort hinbringen, ist für Dubuschak dennoch mehr als nur Ärger, Stau und Staub. Diese Straße ist die Straße des Lebens. Denn viele Waren und das Getreide kommen hier durch bis ins Ausland.

Andrea Beer, ARD Kiew, tagesschau, 04.08.2023 00:54 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 04. August 2023 um 05:13 Uhr.