Pedro Sánchez
hintergrund

Spanien Das "Merkel-Problem" des Pedro Sánchez

Stand: 03.06.2023 09:54 Uhr

Spaniens Ministerpräsident Sánchez pokert. Für Ende Juli hat er vorgezogene Parlamentswahlen angesetzt. Dabei befinden sich rechte und rechtsextreme Parteien im Aufwind. Sánchez befindet sich in einer Lage, die an die von Angela Merkel erinnert.

Wann immer Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel aufeinandertrafen, war offensichtlich: Der Sozialdemokrat und die Christdemokratin konnten gut miteinander, sowohl auf der Arbeits- als auch auf der persönlichen Ebene.

Beide haben beziehungsweise hatten ein ähnliches Problem: im Ausland hochangesehen, im Inland hingegen oft angefeindet, wenn nicht gar verteufelt. Merkel wurde zeitweise gefeiert wie ein internationaler Rockstar, Sánchez galt lange als großer Hoffnungsträger der europäischen Sozialdemokratie. 

Kampfbegriff "Sanchismo"

Im Inland dagegen sieht sich Sánchez seit seinem Amtsantritt 2018 einem Kampfbegriff ausgesetzt, den die größte Oppositionspartei, die konservative Volkspartei (PP), geschaffen hat, den sogenannten "Sanchismo".

Der Ministerpräsident wird damit zu einer quasi-autoritären, undemokratischen, Figur erklärt, der seine Partei PSOE beherrscht, als habe sie keine eigene Identität. PP-Chef Alberto Núñez Feijóo​ spricht von der Abschaffung des "Sanchismo", als handele es sich dabei um ein autoritäres System - in der Hochzeit der Corona-Pandemie waren ähnliche Anfeindungen gegen Merkel laut geworden. 

Angela Merkel und Pedro Sanchez bei einem Sondergipfel der EU im Jahr 2019

Zwei, die politisch und persönlich miteinander konnten: Angela Merkel und Pedro Sanchez

Misstrauen auch im eigenen Lager

Und dieser Diskurs verfängt. Tatsächlich hat sich in Teilen der spanischen Gesellschaft etwa der Gedanke festgesetzt, die nächste Parlamentswahl könnte manipuliert werden oder die PSOE könnte am Ende die Aufspaltung Spaniens vollziehen und das Baskenland an das linksnationalistische Wahlbündnis EH Bildu und Katalonien an die Unabhängigkeitsbefürworter übergeben.

Sánchez, so das Narrativ, das auch der Chef der rechtsextremen Partei Vox, Santiago Abascal, gerne bedient, schrecke in seiner Machtversessenheit nicht einmal davor zurück, mit "Terroristen und Putschisten" gemeinsame Sache zu machen

Die Strategie liegt auf der Hand: Die Parlamentswahl soll eine Abstimmung über die Person des Ministerpräsidenten werden. Bei den Kommunal- und Regionalwahlen ist sie bereits aufgegangen, denn um Politik und Themen ging es im Vorfeld so gut wie nicht, sondern vor allem um die Persönlichkeit des Pedro Sánchez und das Schreckgespenst des fiktiven "Sanchismo".

Selbst einige, die eher links stehen, misstrauen Sánchez. Mangels eigener Mehrheit im spanischen Parlament, lässt er sich nämlich immer wieder von baskischen und katalanischen Separatisten unterstützen und muss daher regelmäßig Zugeständnisse machen. Einerseits ist das schon eine Tradition von PSOE-Minderheitsregierungen, andererseits willkommene Munition für die Opposition. 

Politische Erfolge gehen unter

Dabei hat die Koalitionsregierung der PSOE mit dem Linksbündnis Unidas Podemos durchaus politische Erfolge vorzuweisen: Spanien hat sich wirtschaftlich vergleichsweise gut von der Pandemie erholt, wächst schneller als die meisten EU-Staaten.

Die Arbeitslosigkeit ist zwar immer noch relativ hoch, aber auf dem niedrigsten Stand seit Jahren. Seit der mit Müh und Not durchs Parlament gebrachten Arbeitsmarktreform steigt die Zahl unbefristeter Arbeitsverträge kontinuierlich.

Höhere Mindestlöhne, höhere Renten, besserer Mieterschutz und Kündigungsschutz,  niedrigere Energiepreise, Hilfen für die von den Folgen des Klimawandels betroffenen Landwirte - aber all das wird übertönt von einem immer schriller werdenden politischen Diskurs.

Dabei ließe sich vortrefflich darüber diskutieren, ob die Regierung mit diesen Wohltaten nicht häufig vor allem Symptombehandlung betreibt. Oder wie großzügig sie ohne Zugriff auf EU-Gelder wäre. 

Der Fluch des "Aussitzens"

Hinzu kommen hausgemachte Probleme wie die verunglückte Reform des Sexualstrafrechts unter Federführung der Gleichstellungsministerin Irene Montero von Unidas Podemos. Der kleine Koalitionspartner hatte die PSOE bei diesem Thema inhaltlich "progressiv" vor sich hergetrieben, Punkte hinzugefügt, die weder den Sozialdemokraten noch weiten Teilen der spanischen Bevölkerung zu vermitteln waren - 2019 hatten keine zehn Prozent der Wahlberechtigten dem Linksbündnis ihre Stimme gegeben. 

Das sogenannte "Solo sí es sí"-Gesetz (zu deutsch: Nur ja heißt ja) sollte eigentlich den Schutz von sexualisierter Gewalt Betroffener verbessern. Aufgrund handwerklicher Fehler wurden jedoch zahlreiche verurteilte Sexualstraftäter vorzeitig aus der Haft entlassen oder ihre Haftstrafen zumindest verkürzt.

Sánchez - auch hier kommt einem Merkel in den Sinn - ließ die Sache zunächst monatelang untätig laufen. Erst als Umfragen zeigten, dass viele Spanierinnen und Spanier ihn persönlich für das Debakel verantwortlich machten, griff er ein und musste am Ende die Reform der vermurksten Reform gemeinsam mit der Opposition durchpeitschen.

Probleme in der Koalition

Das hat das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen PSOE und Unidas Podemos zusätzlich beschädigt. Das Linksbündnis wurde bei den Kommunal- und Regionalwahlen ebenfalls abgestraft und von der Entscheidung, die Parlamentswahlen vorzuziehen, offenbar kalt erwischt.

Unidas Podemos muss nun in kurzer Zeit ihr Verhältnis zu der neuen linken Sammlungsbewegung "Sumar" klären und entscheiden, ob man zur Wahl auf gemeinsamen Listen antritt - oder in Konkurrenz zueinander. 

Alles auf Lagerwahlkampf

Auch Sánchez will die Wahl zu einem Plebiszit machen: Entweder ich bleibe Ministerpräsident, oder Rechtsradikale werden erstmals Teil einer landesweiten Regierung. Für viele Linke und vor allem für baskische oder katalanische Unabhängigkeitsbefürworter ist das eine Horrorvorstellung.

Vox könnte der Gegner sein, den Sánchez nun braucht, um seine Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren. Daher setzt er offenbar alles auf eine Karte: Lagerwahlkampf. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 30. Mai 2023 um 16:48 Uhr.