Nach der Präsidentenwahl Was Putins Machtdemonstration bedeutet
Es ist ein Wahlsieg mit Ansage - 88 Prozent will die russische Wahlbehörde für Putin ermittelt haben. Der Präsident kann nun mindestens bis 2030 an der Macht bleiben. Was bedeutet das für sein Land, den Krieg und den Westen?
Putins Apparat hat das Land fest im Griff - mehr denn je
Ob 68, 78 oder 88 Prozent Zustimmung für Putin - im Grunde spielt es keine Rolle, welche Zahl die staatliche Wahlbehörde als Ergebnis der Präsidentenwahl bekannt gibt. Denn diese Wahl war niemals frei und demokratisch. Anders als bei der vorherigen Wahl gab es dieses Mal nicht einmal Kandidaten, die das Etikett "Gegner" auch nur ansatzweise verdienten. Brave, handverlesene Stützen des Systems sollten die Möglichkeit einer Auswahl simulieren, einen richtigen Wahlkampf aber gab es nicht. Die staatlich kontrollierten Medien taten alles, um die Wiederwahl des Staatspräsidenten mit dem gewünschten Ergebnis zu ermöglichen.
Die Möglichkeiten, an den Wahltagen zu manipulieren, waren umfassend wie nie und wurden entsprechend eingesetzt. Die Wähler wurden zur Teilnahme an der Wahl und zum Ja für Putin regelrecht gedrängt, wenn nicht gar gezwungen. Unabhängige Wahlbeobachter, deren Arbeitsmöglichkeiten westlichen Standards genügen, wurden nicht zugelassen.
Putin hat seit 2012, als er nach einer kurzen Unterbrechung (ohne wirklichen Machtverlust) in das Amt zurückkehrte, mit allen Mitteln auf seinen Machterhalt und seine Machtfülle hingearbeitet. Er hat die Opposition immer stärker verfolgt, potentielle Anführer in Lager stecken oder ins Ausland vertreiben und dort von seinen Schergen jagen lassen.
Unabhängige Medien wurden zerschlagen und kritische Journalisten ebenfalls von der Justiz drangsaliert oder ins Exil genötigt. 2020 ließ er sich die Verfassung maßschneidern und hielt darüber ein Scheinreferendum ab. Sie ermöglichte ihm, nach zwei aufeinanderfolgenden und insgesamt vier Amtsperioden noch einmal zu kandidieren und sich bestätigen zu lassen.
Gefährdet war seine Herrschaft nie. Doch wie alle autoritären Herrscher glaubt Putin, in regelmäßigen Abständen eine scheinbare Legitimierung, einen angeblichen Beweis dafür vorlegen zu müssen, dass seine Herrschaft und seine Politik von der Bevölkerung mit großer Zustimmung mitgetragen werden. Es liegt in der Logik dieser Denkweise, dass die Zustimmungsrate überproportional hoch und unter den besonderen Bedingungen dieser Wahl deutlich höher als bei der letzten Wahl sein musste - damals hatte die Wahlbehörde 77 Prozent für Putin vermeldet.
Dieses Dokument hat er sich nun von der staatliche Wahlbehörde ausstellen lassen. Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass er nach der Bestätigung die totale Kontrolle über das Land lockern wird. Die Verfassung ermöglicht dem 71-Jährigen, so seine Gesundheit mitspielt, 2030 noch einmal für sechs weitere Jahre anzutreten. Alles deutet darauf hin, dass er dies anstrebt - er und sein innerer Zirkel haben auch zu viel zu verlieren. Und Putin geht es längst nicht mehr nur um die Herrschaft im eigenen Land.
Schlechte Aussichten für ein baldiges Kriegsende
Putins zweiter Bedarf nach Legitimierung betraf den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Zwei Jahre nach dem vollumfänglichen Überfall auf das Nachbarland sollte die Wahl auch demonstrieren, wie sehr die Bevölkerung den Krieg unterstützt - obwohl die russische Armee ihr ursprüngliches Kriegsziel einer schnellen Unterwerfung der Ukraine weit verfehlt hat, einen extrem verlustreichen Kampf führt und absehbar noch lange führen muss. Auch deshalb brauchte Putin eine Zustimmungsrate, die höher war als die von 2018.
Den manipulierten Wahlsieg wird er nun als weiteres Argument dafür anbringen, den Krieg gegen die Ukraine in unverminderter Härte weiterzuführen. Die aktuelle Schwäche der ukrainischen Armee ist für Putin ein Grund, jeden Gedanken an eine Waffenruhe von sich zu weisen - das hat er zur Wahl in einem Interview noch einmal betont.
Verhandlungen über die eroberten und der Ukraine seit 2014 entrissenen Gebiete stehen für Putin ohnehin nicht zur Debatte - sie würden für ein Scheitern und damit wohl für ein Ende seiner Präsidentschaft stehen. Die Brutalität, mit der die Wahl in den besetzten und völkerrechtswidrig annektierten Gebieten durchgesetzt wurde, unterstreicht den Herrschaftsanspruch Russlands im Osten und Südosten der Ukraine.
Putin ordnet alles im Land dem Krieg unter und richtet deshalb am Tag der Wahl seinen Blick ins Ausland - mit einer Warnung vor einem dritten Weltkrieg, sollten die NATO-Staaten Bodentruppen in die Ukraine schicken.
Die russische Opposition ist klein - aber es gibt sie
Auch nach 24 Jahren Herrschaft und Unterdrückung hat Putin wohl eine Mehrheit der Russen hinter sich. Darauf deuten Untersuchungen von Wahlforschern wie Lew Gudkow hin. Dafür gibt es viele Gründe - eine wirtschaftliche Stabilität trotz aller Sanktionen auf niedrigem Niveau gehört dazu, die massive Förderung des Nationalismus durch die staatliche Propaganda, das Zerrbild einer Bedrohung durch den Westen, die stete Indoktrinierung durch die Staatsmedien und die Diskreditierung aller Andersdenkenden ebenso.
Die Opposition war über die Jahre notorisch zerstritten, mit Alexej Nawalny starb ihr führender Vertreter kurz vor der Wahl unter brutalen Haftbedingungen im Lager. Andere Vertreter sitzen lange Haftstrafen ab oder sind ins Exil geflohen. Wieder andere sind unter dem Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden verstummt. Umso bemerkenswerter war, dass an der Beerdigung Nawalnys tausende Russen teilnahmen, wohl wissend, dass sie dafür wie alle Aktivisten aus Nawalnys Netzwerk Haftstrafen riskierten.
Auch am dritten Wahltag gab es solche Zeichen des Behauptungswillens der Gegner Putins - symbolhaft lange Schlangen um 12 Uhr vor einigen Wahllokalen in mehreren Städten - und auch im Ausland, Aktionen in den Wahllokalen mit veränderten Wahlzetteln oder Farbe in den Wahlurnen. Zweifellos - auf die Masse der Wähler bezogen waren dies vereinzelte Aktionen. Aber sie zeigten, dass Putins Zugriff auf die Bevölkerung nicht total ist und es einen Kern von demokratischem Widerstand gegen ihn und seinen Krieg im Land gibt.
Was die Wahl für den Westen bedeutet
Sollte sich Putin 2030 für weitere sechs Jahre wiederwählen lassen, wäre er rund 36 Jahre lang an der Macht gewesen und damit länger als Katharina die Große - man darf davon ausgehen, dass Hobbyhistoriker Putin der Gedanke gefällt. Der Westen muss sich mithin auf eine lange Fortsetzung der Herrschaft Putins einstellen. Mit allen Konsequenzen - die Konfrontation mit seinem Regime dürfte vorerst nicht geringer werden.
Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht absehbar. Der Versuch Russlands, die früheren Sowjetrepubliken und ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes in der Nachbarschaft zu destabilisieren, dürfte unvermindert weitergehen. Die Demokratien des Westens müssen damit rechnen, dass Russland weiter versuchen wird, sie mit Desinformation zu unterspülen - insbesondere vor der Europawahl im Frühjahr und der US-Präsidentenwahl im Herbst. Auch dürfte Russland zusammen mit China verstärkt darauf setzen, westliche Allianzen zu schwächen, andere Bündnisse wie das der BRICS-Staaten zu stärken und damit den Einfluss des Westens zurückzudrängen.
Umso wichtiger sind für EU und NATO Einheit und ein geschlossenes Handeln. Das ist mit Blick unter anderem auf Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban keine Selbstverständlichkeit. Orban hat den Sinn von Sanktionen gegen Russland wiederholt in Frage gestellt - an der weiteren Debatte wird sich zeigen, wie gefestigt der Westen im Umgang mit Russland bleibt.
Zwar haben die Strafmaßnahmen ihr eigentliches Ziel, Russland massiv wirtschaftlich zu schwächen, bislang verfehlt. Aber ihr symbolischer Wert und ihre Folgen sind nicht zu übersehen und können langfristig noch zunehmen. Hier könnte es nun darum gehen, weitere Schlupflöcher in den Sanktionen zu schließen.
Und der Westen hat auch in Russland weiter Verbündete - in der Gruppe der bedrängten Oppositionellen. Sie sind nach dem Wahltag mehr denn je auf Unterstützung angewiesen. Das gilt auch für die russischen Medien im Exil. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass sie weiter nach Russland hinein wirken und damit die Hoffnung auf ein anderes Russland aufrechterhalten.