Evakuierung von ukrainischen Städten Russland bietet erneut Feuerpause an
Russland bietet nach eigenen Angaben für heute erneut eine Feuerpause an - in fünf ukrainischen Städten. Zivilisten sollen sich dann über Fluchtkorridore in Sicherheit bringen können. Zuvor hatten beide Länder erneut verhandelt.
Russland bietet nach Angaben seines UN-Botschafters am heutigen Dienstag eine erneute Feuerpause zur Öffnung von Fluchtkorridoren in der Ukraine an. Wassili Nebensja zitierte am Abend (Ortszeit) vor dem UN-Sicherheitsrat in New York aus einer neuen Erklärung aus Moskau: "Darin heißt es, dass die russische Partei erneut sagt, dass morgen, am 8. März von 10 Uhr morgens Moskauer Zeit an, eine Waffenruhe gilt und humanitäre Korridore geöffnet werden sollen", um Bürger aus Kiew, Tschernihiw, Sumy, Charkiw und Mariupol herauszubringen.
In einer Stellungnahme des russischen Verteidigungsministeriums auf dem Kurznachrichtenportal Telegram zufolge schienen die Fluchtkorridore aber hauptsächlich oder komplett in Richtung Russland oder Belarus zu verlaufen. Botschafter Nebensja betonte jedoch, dass Flüchtlinge nicht unbedingt nach Russland geschickt würden: "Es wird auch eine Evakuierung in Richtung ukrainischer Städte westlich von Kiew angeboten."
Die ukrainischen Behörden seien bisher "nicht in der Lage gewesen, das Funktionieren der humanitären Korridore zu gewährleisten", so die für humanitäre Angelegenheiten zuständige Abteilung des russische Verteidigungsministeriums.
Moskau hatte am Montagmorgen die Öffnung mehrerer Fluchtkorridore angekündigt, über die Menschen aus den Städten Kiew, Charkiw, Mariupol und Sumy in Sicherheit gebracht werden sollten. Allerdings sollte die meisten Korridore nach Russland oder Belarus führen, von wo aus die russische Armee am 24. Februar in der Ukraine einmarschiert war. Die Ukraine lehnte dies ab.
Selenskyj macht Russland für Scheitern der Evakuierungen verantwortlich
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj machte hingegen Russland für die gescheiterten Evakuierungen verantwortlich. "Es gab eine Vereinbarung über humanitäre Korridore", sagte er am Montag in einem auf Telegram veröffentlichten Video. "Hat es funktioniert? Die russischen Panzer haben stattdessen funktioniert, die russischen 'Grad' (Raketenwerfer), die russischen Minen."
Der ukrainische Präsident beschuldigte die russischen Truppen, die vereinbarte Route, über die Lebensmittel und Medikamente in die belagerte Stadt Mariupol im Süden der Ukraine gebracht werden sollten, "vermint" zu haben. Zudem hätten russische Soldaten die Busse zerstört, mit denen die Zivilisten aus den umkämpften Gebieten gebracht werden sollten. Selenskyj warf Russland "Zynismus" vor. Die Ukraine werde aber weiter mit Russland Friedensverhandlungen führen. "Ich bleibe hier, ich bleibe in Kiew (...). Ich habe keine Angst", betonte der ukrainische Staatschef.
Auch Frankreichs Präsident übte scharfe Kritik an Russland und warf Kreml-Chef Wladimir Putin "moralischen und politischen Zynismus vor". Moskaus Versprechen, Zivilisten zu schützen, nur damit sie nach Russland fliehen können, seien "heuchlerisch", sagte Macron dem Fernsehsender LCI. "Ich kenne nicht viele Ukrainer, die nach Russland fliehen wollen", fügte er hinzu.
Deutsches Rotes Kreuz kritisiert Fluchtkorridore
Der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Christian Reuter, hat das Konzept von Fluchtkorridoren wie im Ukraine-Krieg kritisiert. "Ich sehe humanitäre Fluchtkorridore durchaus zweischneidig", sagte Reuter im ZDF. Natürlich sei es gut, wenn möglichst viele Menschen in der Ukraine gerettet werden könnten.
"Aber ein humanitärer Fluchtkorridor darf dann nicht in der Konsequenz heißen, dass alle Menschen, die dort nicht fliehen, dann sozusagen angegriffen werden können". Dies sei eine Konsequenz von humanitären Fluchtkorridoren, "dass dann Konflikt- und Kriegsparteien sagen, dass alle anderen zum Angriffsziel werden", warnte Reuter. Es gehe den Regierungen "nicht in erster Linie darum, Menschen zu retten". Stattdessen sei es ein "militärisches Instrument", um anschließend "ungenierter, ungehemmter" in die "Konfliktlage hineinschießen, hineinbombardieren zu können".
UN fordern sicheres Geleit für Zivilisten
Die Vereinten Nationen können die Bedürfnisse von Millionen Zivilisten im Konflikt in der Ukraine aktuell nicht befriedigen. Das erklärte der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Montag bei einer Sitzung des Weltsicherheitsrats in New York. Die UN forderten sicheres Geleit für die Menschen "in die von ihnen gewählte Richtung", sagte Griffiths. Zudem müssten Lieferungen humanitärer Hilfsgüter in die umkämpften Gebiete gelangen.
Sein Büro habe ein Team nach Moskau entsandt, um mit dem russischen Militär eine Ausweitung der Lieferung von humanitärer Hilfe auf den nötigen Umfang zu koordinieren. Dies sei nach einem Telefonat von UN-Generalsekretär António Guterres und dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu vom Freitag erfolgt. Das erste Treffen von Vertretern der UN und Russlands habe bereits stattgefunden, sagte Griffiths und äußerte die Hoffnung auf "weitere Fortschritte in den kommenden Stunden".
Die UN und ihre Partner hätten bereits Hunderttausende Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt. Das Welternährungsprogramm richte Versorgungslieferketten ein, um drei Millionen bis fünf Millionen Menschen in der Ukraine unmittelbar mit Essen und Bargeld zu versorgen, sagte er. Das Ukrainische Rote Kreuz habe Hygiene- und Essenspakete, warme Kleidung und Arzneimittel an Tausende Menschen ausgegeben.
Verhandlungen ohne Durchbruch
Zuvor war am Montag die dritte Runde der Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau nach rund drei Stunden ohne konkretes Ergebnis zu Ende gegangen. Beide Seiten hatten allerdings die Absicht zur Schaffung von Fluchtkorridoren in den umkämpften Gebieten bekräftigt.
Der ukrainische Präsidentenberater und Mitverhandler Mychajlo Podoljak schrieb auf Twitter, es gebe kleine positive Schritte bei der Verbesserung der Logistik für die Fluchtkorridore.
Weitere Beratungen "in Kürze"
Der russische Verhandlungsführer Wladimir Medinski zeigte sich enttäuscht von dem Treffen. "Die Erwartungen wurden nicht erfüllt", sagte er im russischen Staatsfernsehen.
Die russische Seite habe eine Reihe vorbereiteter Dokumente zu den Verhandlungen mitgebracht. Allerdings habe die ukrainische Seite nichts unterschreiben wollen, sondern die Papiere zur Prüfung mitgenommen. Medinski zufolge wird in Kürze eine neue Verhandlungsrunde erwartet, bei der Vereinbarungen schriftlich festgehalten werden könnten.
Auch der ukrainische Verhandler Podoljak sprach von weiteren Verhandlungen, die geplant seien. "Mit Blick auf den politischen Block, wozu ein Waffenstillstand und überhaupt die Beendigung der Kampfhandlungen gehören, werden die intensiven Beratungen fortgesetzt." Es gebe aber keine Ergebnisse für eine spürbare Verbesserung der Lage. "Dennoch werden die Beratungen fortgesetzt, und wir werden ein Ergebnis erhalten", so Podoljak.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Kuleba bestätigt geplantes Treffen mit Lawrow
Derweil richten sich alle Blicke auf den 10. März: Dann sollen der russische Außenminister Sergej Lawrow und der Außenminister der Ukraine, Dmytro Kuleba, in der Türkei zu einem direkten Gespräch zusammenkommen. Die Pläne waren am Montag vom türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu bekanntgegeben worden.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bestätigte die Absicht baldiger Gespräche mit seinem russischen Kollegen. "Derzeit ist der 10. (März) geplant. Mal sehen, ob er nach Antalya fliegt, dann fliege ich auch. Setzen wir uns, reden wir", teilte er am Abend in einer Videobotschaft mit. Die Gespräche sollten gemeinsam mit Cavusoglu im Dreier-Format stattfinden. Es wäre die ersten Beratungen zwischen Russland und der Ukraine auf Regierungsebene seit Kriegsbeginn. Die Türkei hatte sich bereits mehrfach als Vermittler zwischen den beiden Ländern angeboten.
Bei dem geplanten Treffen mit Lawrow will Kuleba nach eigenen Worten direkte Gespräche zwischen den Präsidenten beider Länder vorschlagen. "Wir wollen Gespräche zwischen dem Präsidenten der Ukraine und Wladimir Putin, denn er ist derjenige, der die endgültige Entscheidung trifft", sagte Kuleba am frühen Morgen im ukrainischen Fernsehen.
Präsident Wolodymyr Selenskyj hat im Vorfeld des Kriegs häufig direkte Gespräche mit Putin vorgeschlagen und erklärt, er habe den Kreml noch am Vorabend der russischen Invasion angerufen, aber keine Antwort erhalten. Putin hat sich lediglich zu Gesprächen mit westlichen Staats- und Regierungschefs bereit erklärt. Kuleba äußerte sich nach einem Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken am Abend.