Ukrainische Soldaten beziehen im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew Stellung.

Angriff auf die Ukraine Erste russische Einheiten in Kiew

Stand: 25.02.2022 15:25 Uhr

Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine sind nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums die ersten russischen Einheiten in die Hauptstadt Kiew vorgedrungen. In der Nähe der Regierungszentrale waren Schüsse zu hören.

Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine sind dem ukrainischen Verteidigungsministerium zufolge die ersten russischen Einheiten in die Hauptstadt Kiew vorgedrungen. Russische "Saboteure" hielten sich im Bezirk Obolon im Norden Kiews auf, teilte die Behörde über Facebook mit. In der Nähe der Regierungszentrale waren nach Angaben der Nachrichtenagentur AP Schüsse zu hören. Solche Angaben lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Russisches Militär blockiert Kiew im Westen, berichtet die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das Moskauer Verteidigungsministerium. Wohnviertel der Stadt sollten demnach nicht beschossen werden. Wie mehrere Agenturen berichten, hat Russland die Kontrolle über einen Flugplatz in der Nähe von Kiew erlangt. Dort seien Fallschirmjäger gelandet.

Klitschko: Kiew ist "im Verteidigungsmodus"

Ukrainische Truppen rückten unterdessen mit schwerer Militärtechnik in Kiew ein, um die Hauptstadt zu verteidigen. "Die Stadt ist im Verteidigungsmodus", sagte Bürgermeister Vitali Klitschko der Agentur Unian zufolge. Schüsse und Explosionen in einigen Gegenden bedeuteten, dass russische "Saboteure" ausgeschaltet würden. "Die Situation ist schwierig, aber wir glauben an unsere Streitkräfte und unterstützen sie", sagte Klitschko.

Das ukrainische Militär kämpft im Großraum Kiew eigenen Angaben zufolge bereits gegen russische Truppen. Mit Blick auf zwei Orte im Nordwesten der Hauptstadt sagte Militärsprecher Olexij Arestowytsch vor Journalisten: "Dort gibt es jetzt schon Kämpfe." Kiew selbst bereite sich auf Verteidigung vor. Die ukrainische Armee habe "einige" russische Hubschrauber und Militärtechnik zerstört. Russische Spione und Saboteure seien knapp fünf Kilometer von der Hauptstadt entfernt gesichtet worden. Das Militär teilte mit, russische Truppen hätten ukrainische Militärfahrzeuge gekapert und seien unterwegs nach Kiew, wo sie sich als Einheimische ausgeben wollten.

Auf Videos ist zu sehen, wie sich etliche Menschen in Kiew in U-Bahn-Stationen in Sicherheit brachten. Die Polizei in Kiew forderte die Menschen auf, eine U-Bahn-Station im Stadtzentrum nicht zu verlassen, weil in der Gegend Schüsse fielen. Andernorts in der Hauptstadt bezogen Soldaten Verteidigungspositionen an Brücken, und gepanzerte Fahrzeuge rollten durch die Straßen. US-Außenminister Antony Blinken sagte, Kiew könne womöglich belagert werden.

"Die Lage in Kiew soll sich etwas beruhigt haben", Demian von Osten, ARD Moskau

tagesschau24

Das ukrainische Ministerium rief die Bevölkerung auf, sogenannte Molotow-Cocktails zum Kampf vorzubereiten und Sichtungen über russische Militärtechnik zu melden. Einwohner sollten ihre Wohnungen nicht verlassen. Das ukrainische Heer warnte, russische Einheiten nutzten teilweise eroberte ukrainische Technik. Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur dpa berichtete, mit Sturmgewehren bewaffnete Patrouillen seien in der Innenstadt unterwegs. Straßen und Plätze waren leer.

Zuvor hatte die ukrainische Armee mitgeteilt, dass russische Truppen von Nordosten und Osten auf Kiew vorgerückt seien. Russische Einheiten seien in der nordöstlich von Kiew gelegenen Stadt Tschernihiw von den Regierungstruppen zurückgedrängt worden. Daher versuche die russische Armee nun, nach der Eroberung der weiter östlich gelegenen Stadt Konotop von dort aus auf Kiew vorzurücken. 

Die Karte zeigt die Ukraine mit dem Separatistengebiet in Luhansk und Donezk sowie Teile Russlands und Belarus'

Raketenbeschuss auf Kiew in der Nacht

In der Nacht hatte die Ukraine Raketenbeschuss auf die Hauptstadt Kiew gemeldet. Unter anderem wurde ein mehrstöckiges Wohnhaus getroffen, wie die Stadtverwaltung mitteilte. "Schreckliche russische Raketenangriffe auf Kiew", twitterte Außenminister Dmytro Kuleba. Ukrainische Kräfte hätten ein Flugzeug abgeschossen, schrieb ein Berater des ukrainischen Innenministers. Noch sei unklar, ob das Flugzeug bemannt war.

Eine Frau geht um das Wrack eines nicht identifizierten Flugzeugs herum, das in einem Wohngebiet in Kiew in ein Haus stürzte.

Eine Frau geht um das Wrack eines nicht identifizierten Flugzeugs herum, das in einem Wohngebiet in Kiew in ein Haus stürzte.

Nach den Worten von Präsident Wolodymyr Selenskyj nahm Russland um 04.00 Uhr Ortszeit die Raketenangriffe wieder auf. Beschossen würden sowohl zivile als auch militärische Ziele, teilte er in einer im Fernsehen übertragenen Rede mit. Der Vormarsch der russischen Truppen sei an den meisten Stellen gestoppt worden.

Russischen Medienberichten zufolge dementiert Russland, Kiew mit Raketen beschossen zu haben. Russische Nachrichtenagenturen berufen sich auf einen Vertreter des Verteidigungsministeriums. Dieser sagte demnach auch, dass es sich bei dem über Kiew abgeschossenen Kampfjet um ein ukrainisches Militärflugzeug gehandelt habe, das von der eigenen Seite getroffen worden sei.

Schusswechsel in Randbezirken der ukrainischen Hauptstadt Kiew

Vassili Golod, WDR, tagesschau 15:00 Uhr

Das ukrainische Militär berichtete zudem von erheblichen Kämpfen in Iwankiw, etwa 60 Kilometer nordwestlich von Kiew. Eine Brücke über einen Fluss sei zerstört worden. Einige Panzer seien mit Raketen in Brand geschossen worden. "Heute wird der härteste Tag", sagte der Berater des Innenministeriums, Anton Geraschtschenko, im Messenger-Dienst Telegram.

Selenskyj wirft Russland Angriffe auf zivile Orte vor

Der ukrainische Präsident warf der russischen Armee vor, bei ihren Angriffen auch auf zivile Gebiete zu zielen. Gleichzeitig lobte Selenskyj in einer Videoansprache die Ukrainer für ihren "Heldenmut" angesichts des russischen Vormarsches. Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums traf Russland in den vergangenen 24 Stunden 33 zivile Ziele. Zwei Kinder seien getötet worden.

Selenskyj mutmaßte, dass der russische Angriff ihn stürzen solle. "Nach unseren Informationen hat mich der Feind zum Ziel Nummer Eins erklärt, meine Familie zum Ziel Nummer Zwei", sagte er - eine Einschätzung, die die US-Regierung teilt. Er kündigte jedoch an, in Kiew bleiben zu wollen.

Gefechte auch in anderen Landesteilen

Auch aus anderen Landesteilen wurden Gefechte gemeldet. In der Region Saporischschja im Süden meldete das ukrainische Verteidigungsministerium ebenfalls russischen Raketenbeschuss. Bei dem Angriff auf eine Einheit des Grenzschutzes habe es Tote und Verletzte gegeben. Medienberichten zufolge griffen russische Truppen zudem den Flughafen der Stadt Riwne im Westen an. Auch aus Sumy im Nordosten des Landes nahe der russischen Grenze wurden Kämpfe gemeldet. Diese Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.

Russland zerstörte bei seinen Angriffen eigenen Angaben zufolge 118 ukrainische Militärstandorte, teilte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, mit. Fallschirmjäger würden nach Tschernobyl gebracht, um dort das Atomkraftwerk zu bewachen. Unabhängig überprüfen lassen sich solche Aussagen nicht. Konaschenkow sagte außerdem, dass Separatistenkämpfer aus der ostukrainischen Region Donezk mittlerweile neun Kilometer in bislang von ukrainischen Regierungstruppen kontrolliertes Gebiet weit vorgerückt seien.

Russische Truppen nahmen nach Angaben des Verteidigungsministeriums eine Insel vor der ukrainischen Hafenstadt Odessa ein. Die 13 ukrainischen Grenzschützer der Schlangeninsel im Schwarzen Meer seien durch Beschuss eines russischen Kriegsschiffs getötet worden. 82 ukrainische Soldaten hätten sich ergeben.

Moskau: Russische Truppen nehmen Nord-Krim-Kanal ein

Nach Angaben Moskaus übernahmen die russischen Truppen die Kontrolle über eine wichtige Wasserstraße auf der annektierten Halbinsel Krim. Russische Einheiten seien bis in die Stadt Cherson vorgedrungen, teilte die Armee mit. Dadurch könne die Blockade des Nord-Krim-Kanals beendet und die Wasserversorgung der Krim wiederhergestellt werden. 

Die ukrainischen Behörden hatten die Wasserzufuhr durch den Nord-Krim-Kanal, der 85 Prozent des Wasserbedarfs der Krim abdeckte, nach der Annexion der Halbinsel durch Russland im Jahr 2014 gekappt. Seitdem herrscht akuter Wassermangel auf der Krim, insbesondere während der Dürreperioden im Sommer. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Landwirtschaft auf der Halbinsel. Nach Angaben des Gouverneurs der Krim, Sergej Aksjonow, könnte der Kanal nach der Übernahme durch die russische Armee innerhalb von 48 Stunden wieder in Betrieb genommen werden. 

Offenbar viele Opfer auf beiden Seiten

Präsident Selenskyj sagte, die ukrainische Armee habe am ersten Tag der russischen Invasion 137 Soldaten verloren, 316 Soldaten seien verletzt worden. Russland habe das gesamte Gebiet der Ukraine angegriffen.

Die russischen Truppen erlebten nach ukrainischen Angaben ebenfalls schwere Verluste. Das Verteidigungsministerium in Kiew sprach von 30 zerstörten russischen Panzern, 130 Panzerfahrzeugen, sieben Flugzeugen und sechs Hubschraubern. Etwa 800 russische Soldaten seien getötet worden. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die russische Seite äußerte sich dazu nicht.

Markus Sambale, Markus Sambale, ARD Berlin, 25.02.2022 14:51 Uhr
Konfliktparteien als Quelle
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau extra am 25. Februar 2022 um 10:30 Uhr.