Jewgeni Prigoschin (Screenshot Telegram-Video)
analyse

Jewgeni Prigoschin Putins nützlicher "Verräter"

Stand: 02.08.2023 10:01 Uhr

Vor einem Monat hat der Aufstand von Militärunternehmer Prigoschin die Macht Präsident Putins erschüttert. Doch kam er nicht etwa in Haft, sondern verfolgt neue Projekte. Warum kam der "Verräter" davon?

Es war nicht Jewgeni Prigoschin, der am 21. Juli einem Moskauer Gericht vorgeführt und in Haft genommen wurde. Es war einer, der Prigoschin wegen des Aufstands Ende Juni scharf kritisiert hatte: der Ultranationalist und Kriegsverbrecher Igor Girkin.

Während hochrangige Kommandeure der Streitkräfte ihre Posten verloren und General Sergej Surowikin weiter verschwunden bleibt, kann sich Prigoschin ungefährdet in Russland bewegen und mit Vertretern anderer Staaten am Rande des Afrika-Russland-Gipfels in Sankt Petersburg auftreten.

Am ersten Tag des Gipfels tauchte bei Facebook ein Foto Prigoschins mit einem Mitarbeiter des Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik auf. Gepostet hatte es Dimitri Sytyi, Leiter des Russischen Hauses in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui. Sytyi steht nicht zuletzt wegen seiner Verbindungen zu Prigoschin unter US-Sanktionen. Aufgenommen wurde das Foto der Sankt Petersburger Medienplattform "Fontanka" zufolge in einem Hotel im Besitz der Familie Prigoschin.

Prigoschin selbst meldete sich über den Messenger-Dienst Telegram zum Putsch in Niger zu Wort. Es sei ein Kampf gegen die "Kolonisatoren", die mithilfe von Terroristen und Banditen versuchten, ihren Einfluss in Afrika aufrechtzuerhalten - eine Aussage ganz im Sinne der Kreml-Propaganda, wonach sich der Kontinent vom kolonialen Joch westlicher Staaten befreie und Russland dabei Unterstützung leiste. Zugleich pries Prigoschin die Leistungen seiner Wagner-Gruppe an.

Abstand zur Macht in Moskau

Prigoschins Auftreten zeigt, dass Putin den Verantwortlichen für den "Verrat", wie er die Meuterei am 24. Juni nannte, nicht loswerden will oder kann. Schon das später durch westliche Quellen bekannt gewordene Treffen Putins mit Prigoschin und Kommandeuren der Wagner-Einheiten fünf Tage nach der Meuterei deutete darauf hin, dass sie einen Deal ausgehandelt haben. Dieser läuft offenbar darauf hinaus, dass sich Prigoschin von der Macht in Moskau und der russischen Öffentlichkeit fernhält.

Prigoschins Medienimperium Patriot Media Group sollte schließen, zumindest kündigte Jewgenij Subarew, Chefredakteur der Nachrichtenplattform RIA FAN dies Ende Juni an. Die Telekom-Behörde Roskomnadsor nahm dazugehörige Webseiten offline. Prigoschins Hauptquartier in St. Petersburg wurde durchsucht. Seine Unternehmen in Russland sollten schließen.

Außerdem verlor Prigoschin seine herausgehobene politische Stellung, da seine Kämpfer nicht mehr in der Ukraine stationiert sind und ihr Militärgerät abgeben mussten. Erfolge in Popasna, Soledar und Bachmut hatten Prigoschin die Legitimation verschafft, sich öffentlich gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow aufspielen und ihren Rücktritt fordern zu können.

Basis in Belarus

In Belarus scheinen die Wagner-Einheiten entfernt genug zu sein - und zugleich nützlich als Drohkulisse: einerseits weiterhin gegen die eigene Militärführung. Andererseits bieten die Kämpfer ein neues Drohszenario in Richtung Westen. So warnte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vor Wagner-Kämpfern nahe der Grenze zu Polen, die hybride Angriffe zur Destabilisierung der Grenze unternehmen könnten. Die Oppositionszeitung "Gazeta Wyborcza" sah darin allerdings ein Wahlkampfmanöver.

Daneben könnte Belarus für Prigoschin zur Drehscheibe seiner Geschäfte werden. Am 19. Juli meldete er dort das Unternehmen Concord Management und Consulting als Tochter seines gleichnamigen, 2003 gegründeten russischen Unternehmens an. Wie das belarusische Medium "reform.by" herausfand, wurde es im Gebiet Mogilew im Osten des Landes registriert. Dort befindet sich ein Feldlager. Satellitenaufnahmen zeigen, dass auf dem Gelände seit Ende Juni Unterkünfte errichtet und seit Mitte Juli vermehrt Fahrzeuge und Ausrüstung abgestellt werden.

Mehr Präsenz in Afrika

Ende Juli stattete Prigoschin dem Feldlager einen Besuch ab. Wagner werde in Belarus seine Kräfte sammeln, sich auf neue Missionen vorbereiten und die Präsenz in Afrika verstärken, sagte er.

Kurz nach dem Aufstand im Juni gab es Berichte, wonach die Wagner-Kämpfer in Syrien aufgefordert wurden, neue Verträge mit dem russischen Verteidigungsministerium zu unterschreiben oder nach Russland zurückzukehren. Es ist jedoch fraglich, ob die professionellen Wagner-Kämpfer mit ihren hohen Gehältern bereit waren, sich der Militärführung als reguläre Soldaten zu unterstellen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach davon, dass Mali und die Zentralafrikanische Republik an Wagner mit der Bitte herangetreten seien, die Sicherheit ihrer Führungen zu gewährleisten. Die Ereignisse in Russland beeinträchtigten die Beziehungen zu Partnern und Freunden nicht, versicherte Lawrow, ohne dies weiter zu präzisieren.

Lukrative Einnahmen

Bislang sind keine Hinweise bekannt, dass Prigoschins weltweit verzweigtes Firmenimperium zerschlagen und unter Konkurrenten aufgeteilt worden wäre - wie es Geschäftsleuten geschieht, die bei Putin und seinen Leuten in Ungnade fallen. Womöglich ist es für sie profitabler, Verluste durch eine Zerschlagung zu vermeiden und an seinen Einnahmen teilzuhaben.

Prigoschin verfügt unter anderem über Konzessionen für Gold im Sudan, Öl in Libyen und Syrien, Gold, Diamanten und Holz in Zentralafrika. Die unabhängige Rechercheorganisation "Alle Augen auf Wagner" schätzt die Einnahmen allein aus seinem Holzgeschäft in Zentralafrika auf fast eine Milliarde Dollar, den Ertrag aus nur einer Goldmine dort auf etwa 2,7 Milliarden Dollar.

Prigoschin erklärte, dass er Projekte in Syrien, afrikanischen und anderen Staaten mit Einnahmen finanziere, die er seit 2006 vom russischen Staat für die Versorgung der Streitkräfte mit Lebensmitteln erhalte. Putin bestätigte kürzlich, Prigoschins Catering-Service habe 2022 vom Staat mindestens eine Milliarde Dollar für die Verpflegung der russischen Soldaten in der Ukraine erhalten. Das Verteidigungsministerium stellte den Wagner-Einheiten zudem Waffen und logistische Unterstützung bereit. Wohin allerdings die Einnahmen Prigoschins aus den Rohstoff-Konzessionen gehen, dazu sagten sie nichts.

Handhabe gegen Prigoschin

Neben der Zahlung staatlicher Gelder erwähnte Putin auch, dass Wagner als privates Militärunternehmen gar nicht existieren könne, da diese in Russland gesetzlich verboten seien - ein Hinweis darauf, dass der Präsident jederzeit eine juristische Handhabe gegen Prigoschin hätte. Dieser wiederum mühte sich zu betonen, dass sich sein Aufstand nicht gegen Putin, sondern allein die unfähige Militärführung gerichtet habe: "Wir hatten nicht das Ziel, das bestehende Regime und die rechtmäßig gewählte Regierung zu stürzen."

Auch wenn unter Experten die Einschätzung überwiegt, dass Putin seine Machtposition erheblich geschwächt hat, indem er die Entschlossenheit Prigoschins unterschätzte, hält der Präsident einstweilen sowohl an Prigoschin, als auch am Modell der privaten Militärorganisationen fest. Ende Juli stimmte die Staatsduma dafür, auch Gouverneuren in den Regionen das Recht zu geben, in Kriegszeiten, bei Kriegsrecht oder bei Mobilmachung eigene Militärorganisationen zu gründen.

Offensichtlich hält Putin es weiter für vorteilhaft, Konkurrenz zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen zu schüren, Kriegsopfer nicht den regulären Streitkräften zuschreiben zu müssen, sowie die Grenze zwischen staatlichem und privaten Sektor weiter zu verwischen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 15. Juli 2023 um 12:06 Uhr.