Russen in London "Londongrad" - Hauptstadt der Oligarchen
Die britische Sanktionsliste umfasst mehr als 1500 russische Bürger - doch für viele Oligarchen aus Russland geht das Leben in London fast ungestört weiter. Ein Grund könnten großzügige Spenden an die Tories sein.
In London gibt es viele Stadtrundfahrten. Wer die Nase voll hat vom Buckingham-Palast, dem Piccadilly und Big Ben, der sollte es mal mit der Kleptokraten-Tour probieren. Diese sehr besondere Stadtrundfahrt führt an den luxuriösen Stadtvillen von russischen Oligarchen in London vorbei.
Roman Borisovich organisiert die Fahrten schon seit sechs Jahren, und auch ein Jahr nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gibt es noch viel zu sehen. Die britische Regierung hat nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vor einem Jahr zahlreiche Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf die Sanktionsliste genommen. Doch für viele Oligarchen geht das Leben in London nahezu ungestört weiter.
Obszöner Reichtum trotz Sanktionen
Erster Stopp: das Schlösschen Witanhurst, im Norden von London gelegen. "Hinter den hohen Mauern sehen Sie das wunderschöne Anwesen", sagt Borisovich ins Bus-Mikrofon. Witanhurst gehört dem russischen Oligarchen Andrej Gurjev, der in den 1990er-Jahren in Russland seine Milliarden verdiente, als die Sowjetunion sich auflöste.
Es ist das zweitgrößte Gebäude in der britischen Hauptstadt - nach dem Buckingham-Palast. Unter dem Schlösschen wurden drei Stockwerke ausgehoben, ergänzt Borisovich. Hier sei eine Garage für 25 Autos eingerichtet worden und ein Schwimmbad mit 50-Meter-Bahn.
Der obszöne Reichtum russischer Oligarchen ist an vielen Stellen in London zu bewundern, trotz der Sanktionen. Die Sanktionsliste umfasst mittlerweile mehr als 1500 Personen, darunter viele Abgeordnete des russischen Parlaments - doch zu wenige Personen, die in London ihr Geld geparkt haben, sagen Kritiker.
"Regierung muss viel weiter gehen"
Die britische Regierung hat zahlreiche Gesetze verschärft. "Vieles ist erreicht worden", sagt Oliver Bullough, Journalist und Autor, der seit Jahren zum Thema Sanktionen und russische Oligarchen in London arbeitet. Aber seiner Meinung nach müsste die Regierung viel weiter gehen.
Ein Beispiel sei das Handelsregister. Endlich gebe es neue Vorgaben, um mehr Transparenz zu schaffen. Früher konnte jeder eine Firma auf den Namen Mickey Mouse gründen - niemand hat die Daten überprüft. Dagegen ist die Regierung vorgegangen. Doch noch immer gebe es massive Lücken, wo die Transparenzregeln nicht greifen, beispielsweise auf den Britischen Jungferninseln.
Regierungsversprechen nicht eingelöst
Oliver Bullough kritisiert auch, dass viele Oligarchen, die auf der Sanktionsliste stehen, Geld für ihre Grundbedürfnisse verwenden dürfen. Bei Pjotr Aven beispielsweise sollen dies 60.000 Pfund monatlich sein, sagt Oliver Bullough. Er fordert von der britischen Regierung einen restriktiveren Umgang mit den Oligarchen.
Boris Johnson, der ehemalige britische Premierminister, hatte vor einem Jahr auch mehr Personal für die Ermittlungsbehörden versprochen und seine Rede im Unterhaus mit dem Satz gekrönt: "Oligarchen in London werden kein Versteck mehr in London haben."
Aber soweit ist es längst nicht gekommen. Die Ermittlungsbehörden wurden aufgestockt, doch es arbeiteten bei Weitem nicht genug Personen in den entsprechenden Abteilungen, sagt Oliver Bullough. Er fordert, dass die Freunde Putins viel stärker sanktioniert werden müssten.
Prigoschin-Klage gegen Journalisten
Empörend ist für die Kritiker auch, dass die sanktionierten Oligarchen sogar vor britischen Gerichten gegen Journalisten klagen können. In einem besonders prominenten Fall strengte Jewgeni Prigoschin, der Chef der Wagner-Söldnertruppe, eine Verleumdungsklage gegen den Journalisten Eliot Higgins an.
Dieser hatte Details über Operationen der Wagner-Gruppe in Afrika und über Prigoschins Nähe zu Putin veröffentlicht. Der Thinktank Open Democracy hat gerade erst Auszüge aus Dokumenten zitiert, die belegen, dass die britische Regierung dabei half, diese Klage zu ermöglichen.
Prigoschin durfte trotz bestehender Sanktionen eine Anwaltskanzlei in London beauftragen, seine Anwälte erhielten die Möglichkeit, nach St. Petersburg zu fliegen. Prigoschin bezahlte die Anwälte nach Angaben von Open Democracy direkt aus Russland.
Schlussendlich lehnte das Gericht im März 2022 die Klage ab. Doch viele Journalisten werden durch diese Klagen eingeschüchtert, vor allem, weil sie sich mit den besten Anwaltskanzleien konfrontiert sehen, die Verfahren sehr teuer sind.
Russische Spenden an die Tories
Für den über Jahre hinweg zögerlichen und sogar freundlichen Umgang mit russischen Oligarchen gibt es Gründe: In London hat sich eine ganze Gruppe von Branchen etabliert, die sehr wohlhabende Personen unterstützt: Immobilien- und Finanzberater, Anwaltskanzleien und Privatschulen zum Beispiel.
In den vergangenen Jahren haben russische Staatsbürger auch immer wieder Geld an die Konservative Partei gespendet. Im Februar 2022 veröffentlichte die Labour-Partei Informationen über diese Spenden. Demnach hatte die Konservative Partei seit dem Amtsantritt von Boris Johnson mehr als zwei Millionen Euro Spendengelder von Russen oder aus russischen Quellen erhalten.