Ende der Sperrzone Polen gibt Grenzregion zu Belarus frei
Monatelang war ein Teil der polnischen Grenze zu Belarus zur Sperrzone erklärt worden - ohne Zugang für NGOs, Journalisten oder Anwälte. Kritiker sagen: Um Migranten zurückzuweisen. Nun wurde die Region freigegeben.
Wie viele Menschen wirklich ihr Leben ließen auf dem Weg in den Westen, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei ermitteln. Laut Menschenrechtsorganisation "Grenzgruppe" sind 16 Todesfälle zweifelsfrei dokumentiert.
Die Dokumentation geschah unter erschwerten Bedingungen, denn als sich die Krise um Migration via Belarus im vergangenen Spätsommer immer weiter zuspitzte, sperrte die Warschauer Regierung einen drei Kilometer breiten und mehr als 400 Kilometer langen Streifen entlang der Grenze nicht nur für Journalisten ab, sondern auch für Nichtregierungsorganisationen, Rechtsanwälte und andere Zeugen.
"Es gibt 16 bestätigte Fälle, aber es gibt auch Hinweise auf bis zu zu 24 Todesopfer beidseits der Grenze. Wir fürchten, dass die tatsächliche Opferzahl noch weitaus höher liegt, denn ein Teil der Menschen fand sich in schwer zugänglichen Gebieten des Urwalds Bialowieza wieder", sagt Katarzyna Czarnota von der Flüchtlingsinitiative "Grenzgruppe".
Belarus half, Menschen in die EU zu schleusen
Vor einem Jahr tauchten immer mehr Migranten aus Afrika oder arabischen Ländern im Grenzgebiet auf; Schleusungen mit offenkundiger Billigung oder sogar unter Mithilfe belarusischer Dienste. Als sich die polnische Regierung entschieden hatte, die Menschen zurück nach Belarus zu drängen, fand das zunächst mediale Beachtung und weltweite Aufmerksamkeit - etwa der Fall einer Gruppe von Menschen, die eingekeilt zwischen den Grenzern beider Länder wochenlang im Wald campierte. Doch statt eine Lösung zu finden, ließ die polnische Regierung die Kameras aussperren.
Grenzschutzsprecherin Anna Michalska rechtfertigt dieses Vorgehen so: "Es ging nicht darum, Journalisten zu beaufsichtigen. Das Problem bestand darin: Wir wollten eine Grenzbefestigung errichten und dabei die Sicherheit der Bauleute und auch der Grenzbeamten garantieren, die unter schwierigen Bedingungen arbeiteten."
Eingriff in die Pressefreiheit
Was freilich das Medieninteresse noch anfachte und zur paradoxen Situation führte, dass Kamerateams aus aller Welt nun von Belarus aus das polnische Grenzgebiet filmten und teils gewaltsame Auseinandersetzungen - von einem Land aus also, das in Sachen Pressefreiheit und Demokratie eigentlich weit hinter Polen rangiert.
Nun also wird das Gebiet bis auf einen letzten 200 Meter breiten Streifen wieder geöffnet. Zur Begründung heißt es offiziell, dass noch elektronische Überwachungssysteme entlang der fertiggestellten Sperranlage installiert werden müssten.
"Klar verfassungswidrig"
Für Krzystof Bobinski vom polnischen Journalistenverband hat die temporäre No-Go-Area die Wirkung eines gefährlichen Präzedenzfalles weit über den konkreten Gegenstand der Berichterstattung hinaus: "Die Regierung wollte diese Flüchtlinge nicht und war der Meinung, wenn es gelingt, Medienberichte zu unterbinden, könnte das Problem kleiner werden. Das Gefährliche ist, dass sie einfach ausprobiert haben, ob man Journalisten aus einer Stadt, einer Kleinstadt oder einem Bezirk aussperren kann. Ich denke, das war klar verfassungswidrig, denn unser Recht verbrieft den freien Fluss der Informationen."
Weniger Flüchtlinge, aber das Problem bleibt
Der Regierung zufolge ist das Migrationsproblem mit Hilfe der neuen Grenzsperre nun beherrschbar, auch wenn die belarusische Seite weiter Menschen dabei helfe, unerkannt nach Polen zu gelangen. Erst dieser Tage habe man Grenzbeamte des Nachbarlands beim Versuch ertappt, einen Tunnel unter dem Grenzzaun hindurch zu graben, so der polnische Grenzschutz.
Laut "Grenzgruppe" erreichten die Initiative in den dreieinhalb Monaten von März bis Mitte Juni 2100 Hilferufen von Menschen, die sich im polnischen Grenzwald verirrt hatten, auch habe man 330 illegale sogenannte Rückführungen ins Nachbarland registriert, darunter auch von 65 Kindern.