Neue Recherchen in Polen Johannes Paul II. soll von Missbrauch gewusst haben
Einer neuen Dokumentation und einem Buch zufolge soll Papst Johannes Paul II. in seiner Zeit als Erzbischof von sexuellem Kindesmissbrauch seiner Priester gewusst und sie gedeckt haben. Polens Regierung reagiert mit Abwehr.
In seiner Zeit als Erzbischof von Krakau soll der spätere Papst Johannes Paul II. über den sexuellem Missbrauch ihm unterstellter Pfarrer Bescheid gewusst und die Taten vertuscht haben. Das berichten zwei Investigativjournalisten aus Polen und den Niederlanden.
Am Montag sendete der private polnische Fernsehsender tvn die Reportage "Scheuklappen. Was Johannes Paul II. wusste" des Journalisten Marcin Gutowski. Mehr als eine Million Menschen hätten die Doku seitdem geschaut, erklärte der Sender. Und auch ein Buch zum selben Thema, vom niederländischen Journalisten Ekke Overbeek, erschien heute auf Polnisch. Der Titel lautet "Maxima Culpa". Schon im Dezember hatte Overbeek gesagt, er habe "felsenfeste Beweise" gefunden, dass der polnische Papst von sexuellem Missbrauch gewusst habe.
Dokumente sollen Mitwisserschaft belegen
Am Beispiel dreier Pfarrer, von denen bereits bekannt war, dass sie Kinder missbraucht hatten, hat Journalist Gutowski nachgewiesen, dass der verstorbene Papst von ihrem Fehlverhalten gewusst habe. Schriftstücke aus Karol Wojtyłas Zeit als Erzbischof sollen dies belegen. Demnach versetzte der Bischof seinen engen Vertrauten, Pfarrer Saduś, nach Österreich, ohne Erzbischof Kardinal Franz König in seinem Empfehlungsschreiben über die Vorwürfe gegen den Priester zu informieren.
In einem Bericht aus der Zeit habe der Geheimdienst des kommunistischen Polens notiert, die Kurie sei sehr besorgt, "dass es unmöglich ist, diesen Skandal zu verstecken, den Saduś durch sein Verhalten ausgelöst hat". Gutowski spricht in seiner Doku auch mit einem Zeugen, der angibt, Wojtyła vor 50 Jahren in einem Vier-Augen-Gespräch auf den Missbrauch aufmerksam gemacht zu haben. Wojtyła habe nicht reagiert.
Regierung reagiert trotzig
Die polnische Regierung geht nicht auf die Vorwürfe gegen Johannes Paul II. ein. Premierminister Mateusz Morawiecki postete ein Foto des Papstes von einer seiner ersten Pilgerreisen in die polnische Heimat - zusammen mit dem berühmt gewordenen Zitat des Papstes an die polnische Bevölkerung damals: "Habt keine Angst."
Am Mittwoch twitterte Morawiecki einen ganzen Film mit Aufnahmen des Papstes, unterlegt mit klassischer Musik. Im Bild erscheint auch Morawiecki neben einer polnischen Flagge und sagt: "Heute tobt der Krieg nicht nur außerhalb unserer östlichen Grenze. Leider gibt es in unserer Gesellschaft Gruppierungen, die bei uns, in Polen, versuchen, einen Krieg auszurufen, keinen militärischen, sondern einen zivilisatorischen."
Und Radosław Brzózka aus dem Bildungsministerium sagte: "Johannes Paul II. greifen die an, die wollen, dass Polen kulturellen Selbstmord begeht. Sie setzen auf den geistigen Analphabetismus der Massen und die Feigheit der katholischen Eliten."
Nun will das Institut des nationalen Gedenkens (IPN) prüfen, welche Informationen sich im Archiv des kommunistischen Geheimdienstes in Bezug auf sexuelle Verbrechen durch Priester finden lassen. Das berichtet die Tageszeitung "Rzeczpospolita".
Regierungsnahe Medien empört
Der regierungsnahe Fernsehsender TVP berichtete: "Viele Jahre nach seinem Tod wird er in seinem Heimatland immer stärker angegriffen durch private Medien, die mit Teilen der Opposition sympathisieren." TVP stellte den Bericht über Wojtyła in Frage, da die Enthüllungen sich zu großen Teilen auf Dokumente des Geheimdienstes berufen würden. Ihre Glaubwürdigkeit sei daher fragwürdig, so der Vorwurf der interviewten Experten. Ein Dokumentarfilm von TVP beweise das Gegenteil: Johannes Paul II. sei in seiner Zeit als Erzbischof gegen sexuellen Missbrauch vorgegangen.
Magdalena Paczuska, Mitglied des nationalen Rats für Rundfunk und Fernsehen, sprach von einer "schädlichen Attacke" und warnte: "Die Grenze ist überschritten."
Und der Krakauer Erzbischof Marek Jedraszewski sagte nach Bistumsangaben bei seinem Gottesdienst am Dienstagabend, der Bericht enthalte "Lügen und Unterstellungen". Er bezeichnete den Dokumentarfilm als "Operation zur Zerstörung der leuchtenden Erinnerung" an den Papst. Dabei sie dieser ein Verteidiger des Menschen, der Ehe und der Familie gewesen. Den sexuellen Missbrauch benannte er nur als das "Böse" und fügte hinzu, dass es in anderen Bereichen in weitaus größerem Maße verbreitet wäre.
Mehrheit der Polen laut Umfrage für Untersuchung
Die Enthüllungen kommen in einer Zeit, in der die Rolle von Papst Johannes Paul II. in Polen debattiert wird. Ende Dezember hatten sich laut einer Umfrage des polnischen Meinungsforschungsinstituts IBRiS knapp zwei Drittel der Polen dafür ausgesprochen, den Umgang von Johannes Paul II. mit Missbrauchsfällen zu untersuchen.
Der verstorbene Papst gilt vielen in Polen weiterhin als wichtige Autorität im Land, als Nationalheld: Gerahmte Fotos von ihm stehen bis heute zwischen dem Kristallgeschirr in polnischen Wohnzimmern. Gemalte Bilder hängen neben anderen Heiligenbildern in der Kirche, in vielen Städten säumen Statuen des Papstes öffentliche Plätze, und meist sind die wichtigsten und größten Straßen nach ihm benannt, so auch in Warschau.
Diese Anerkennung kam ihm nicht nur wegen seiner Position als Kirchen-Oberhaupt zu, sondern auch für seine Unterstützung der antikommunistischen Opposition und viele Pilgerreisen in sein Heimatland in einer Zeit, in der Polen den meisten seiner Bewohnerinnen und Bewohner von der Welt abgeschnitten schien.
Journalist ist sicher, dass Wojtyła Bescheid wusste
Das Thema des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche wurde in Polen auch schon zuvor diskutiert. Der Dokumentarfilm "Tylko nie mów nikomu", "Nur sag es niemandem", von 2019 berichtet über sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester. Er wurde inzwischen 24 Millionen Mal geschaut.
Jetzt ist sich Investigativjournalist Gutowski sicher: "Niemand wird heute noch sagen können, dass Karol Wojtyła, Johannes Paul II., nichts über die Fälle der Pädophilie in der Kirche wusste. Karol Wojtyła hat als Krakauer Erzbischof pädophile Priester versetzt, in vollem Bewusstsein darüber, was sie getan haben."