Österreich Die neue Kraft der FPÖ
Die rechtspopulistische FPÖ hat sich von den Skandalen der Vergangenheit mehr als erholt. In Umfragen ist sie die stärkste Partei in Österreich. Wenn jetzt gewählt würde, käme sie auf 30 Prozent. Woran liegt das?
Österreichs Politik steckt in einer massiven Vertrauenskrise. Das zeigen Umfragen immer wieder. Laut dem Demokratiemonitor des sozialwissenschaftlichen SORA-Instituts denkt nur etwas mehr als ein Drittel der Menschen in Österreich, dass das politische System gut funktioniert.
Hintergrund sind unter anderem die politischen Skandale der vergangenen Jahre, angefangen mit dem Ibiza-Video: Aufgenommen 2017 in einer Villa auf der Ferieninsel Ibiza, zeigt es den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, seinen politischen Ziehsohn Johann Gudenus und eine angebliche russische Oligarchen-Nichte. Sie reden darüber, wie man unabhängige Medien unter Kontrolle bringt, auch mittels möglicher staatlicher Aufträge gegen verdeckte Parteispenden. Die Koalition aus FPÖ und ÖVP ging nach der Veröffentlichung 2019 zu Bruch.
Mittlerweile ist "Ibiza" aber nur noch ein Puzzleteil von vielen. Der Skandal hat sich vor allem zu einem Problem für die konservative ÖVP entwickelt. Es geht um die Frage, ob mittels Inseraten in Medien - bezahlt von Bundesministerien, also mit Steuergeld - Einfluss auf Berichterstattung genommen wurde. Das sollte, so der Vorwurf, vor allem der Karriere des späteren Bundeskanzlers Sebastian Kurz dienen.
Wer von der Vertrauenskrise profitiert
Von der politischen Vertrauenskrise profitiere die FPÖ enorm, sagt die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle von der Fachhochschule Kärnten in Villach. Die Partei habe sich über Jahre mit einem Anti-Establishment-Wahlkampf positioniert, auch wenn sie selbst zu eben jenem Establishment gehöre.
Außerdem hat sich die FPÖ zügig und endgültig von den Personen distanziert, die im Ibiza-Video zu sehen sind. Der ehemalige Parteichef Strache etwa wurde aus der Partei ausgeschlossen.
Unterscheidungsmerkmal: Dagegen-Sein
Die FPÖ wird von Menschen gewählt, die kein Vertrauen mehr haben und "dagegen" wählen. Denn die FPÖ wirbt mit Positionen, die denen der anderen Parteien diametral entgegenstehen. Beispiele sind die Corona-Politik der vergangenen Jahre, der Ukraine-Krieg und der Klimawandel.
Bei all diesen Themen ist die FPÖ in der Fundamentalopposition: Sie war während der Pandemie gegen jegliche Maßnahmen zur Eindämmung der Gesundheitskrise. Sie ist gegen Russland-Sanktionen. Und sie beschimpft Klimaaktivisten als Terroristen. Damit steht sie alleine da, hat also das "Proteststimmen-Monopol", so Stainer-Hämmerle.
Das stärkt die Partei momentan über ihre Stammwählerschaft hinaus. Die liegt laut dem Rechtsextremismus-Forscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands bei rund 20 Prozent. So groß ist also der Anteil der Wählerinnen und Wähler, die immer FPÖ wählen.
Ausschluss stärkt den Rand
Viele Menschen, die in Österreich leben, dürfen im Übrigen gar nicht wählen. Fast jeder fünfte Einwohner des Landes ist Ausländer. Das gilt auch für viele Menschen, die in Österreich geboren sind. Das Land hat ein sehr restriktives Staatsbürgerschaftsrecht.
1,4 Millionen Menschen im Wahlalter sind dadurch von Wahlen ausgeschlossen. Auch das stärkt nach Ansicht einiger Experten den rechten Rand.
Nur halbherzige Abgrenzung
Dazu kommt die Schwäche der anderen großen Parteien sowie ihr Verhalten gegenüber der FPÖ. Die konservative ÖVP hat sich von den Inseraten-Skandalen bisher nicht freischwimmen können. Die sozialdemokratische SPÖ streitet seit Monaten öffentlich um die Parteispitze. Beides kommt nicht gut an.
Außerdem grenzen sich beide Parteien nur halbherzig von der FPÖ ab. Das Koalieren mit der FPÖ gilt in Österreich schon lange nicht mehr als Tabubruch. Die Partei war schon an Landes- wie Bundesregierungen beteiligt.
Kein Interesse mehr an großer Koalition
Das hat auch mit einer politisch-historischen Besonderheit zu tun: ÖVP und SPÖ haben rund 50 Jahre gemeinsamen Regierens hinter sich. In dieser Zeit, sagt Stainer-Hämmerle, hätten sich die Parteien "aneinander abgearbeitet". Das Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit sei gering, beide suchten eher nach anderen Optionen.
Zudem übernähmen ÖVP und SPÖ zum Teil schon seit den 1990er-Jahren die Positionen der FPÖ, gerade in Migrationsfragen. Es gibt also inhaltlich und parteipolitisch keine klare Abgrenzung zur FPÖ.
Das Beispiel Niederösterreich
Zu beobachten war das zuletzt in Niederösterreich. Der FPÖ-Landesverband dort gilt als besonders weit rechts stehend. Trotzdem ging die ÖVP entgegen vorherigen Absagen eine Koalition mit der FPÖ ein.
Das Arbeitsabkommen der beiden Parteien hat es in sich: So soll auf niederösterreichischen Schulhöfen künftig nur noch Deutsch gesprochen werden. Restaurants sollen nur noch Fördermittel vom Land bekommen können, wenn sie traditionelle österreichische Küche anbieten.
Menschen müssen "integriert" sein, um eine öffentlich geförderte Wohnung beziehen zu dürfen. Ein Coronafonds soll aufgesetzt werden, mit dem angebliche Opfer der Pandemiepolitik entschädigt werden sollen. Zum Beispiel Menschen, die gegen Corona-Auflagen verstoßen haben und dafür Strafen zahlen mussten.
Nehammer grenzt sich ab - vom Koalitionspartner
Viele sehen in der Niederösterreich-Koalition einen Vorboten für die nächste Bundesregierung. Dazu kommt, dass Bundeskanzler Karl Nehammer sich zuletzt zunehmend vom grünen Koalitionspartner auf Bundesebene distanzierte und sich zum Beispiel beim Migrationsthema als Hardliner positionierte.
Beobachter rechnen damit, dass die offenen Vorhaben der Bundesregierung vor der nächsten Wahl nicht mehr umgesetzt werden. Darunter ist etwa ein Klimaschutzgesetz.
Was macht der Präsident?
Voraussichtlich im Herbst 2024 wird in Österreich ein neues Parlament gewählt. Sollte die FPÖ stärkste Kraft werden, will Bundespräsident Alexander Van der Bellen den FPÖ-Parteichef Herbert Kickl aber nicht zum Kanzler machen. Das liegt durchaus im Entscheidungsspielraum des Präsidenten.
Ob es allerdings realpolitisch machbar ist, sollte die FPÖ die Wahl gewinnen, ist offen. Den Aufwärtstrend der FPÖ gestoppt hat Van der Bellens Ansage jedenfalls bisher nicht.
Anmerkung: In einer früheren Version des Beitrags hieß es, das Ibiza-Video habe ein Treffen des früheren FPÖ-Chefs Strache und seines politischen Ziehsohns Gudenus mit einer angeblichen russischen Oligarchen-Tochter gezeigt. Tatsächlich hatten sich Strache und Gudenus 2017 in einer Villa auf Ibiza mit einer angeblichen Oligarchen-Nichte getroffen. Wir haben den Text entsprechend korrigiert.