Umstrittener Diplomat Selenskyj entlässt Botschafter Melnyk
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat den Botschafter seines Landes in Deutschland, Melnyk, abberufen. Melnyk stand zuletzt zunehmend in der Kritik. Die Abberufung sei aber ein normaler Vorgang, betonte Selenskyj.
Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk muss seinen Posten in Deutschland räumen. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den 46-jährigen Diplomaten abberufen, ebenso die ukrainischen Botschafter in Norwegen, Tschechien, Ungarn und Indien. Gründe wurden in dem von der Präsidentenkanzlei in Kiew veröffentlichten Dekret nicht genannt.
Selenskyj sprach von einem normalen Vorgang. "Diese Frage der Rotation ist ein üblicher Teil der diplomatischen Praxis", sagte er in einer Videobotschaft, ohne einen der fünf Botschafter namentlich zu nennen. Ob Melnyk nach seiner Entlassung als Botschafter für ein anderes hochrangiges Amt in Kiew oder anderswo vorgesehen ist, blieb zunächst offen.
Die ukrainische Botschaft in Berlin wollte das Dekret nicht kommentieren. Eine Sprecherin der ukrainischen Botschaft in Prag sprach tschechischen Medien zufolge ebenfalls von einem geplanten Auswechseln mehrerer Botschafter. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes teilte auf Anfrage mit: "Gegenüber dem Auswärtigen Amt wurde eine Abberufung des Botschafters bislang nicht notifiziert."
Bekannt auch für undiplomatisches Vorgehen
Melnyk ist seit Januar 2015 Botschafter in Deutschland - eine außergewöhnlich lange Zeit für einen Diplomaten. Er hatte in den vergangenen Monaten mit seiner scharfen Kritik an der Bundesregierung für Aufsehen gesorgt. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seinen Ministern warf er unter anderem vor, zu zögerlich Waffen für den Kampf gegen die russischen Angreifer in die Ukraine zu liefern.
Dabei schreckte Melnyk auch vor sehr deutlichen Worten nicht zurück. Als Scholz nach der Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einer Kiew-Reise vorerst eine Absage erteilte, nannte Melnyk Scholz eine "beleidigte Leberwurst", entschuldigte sich später aber dafür.
Dem Bundespräsidenten warf Melnyk eine zu große Nähe zu Russland vor. Steinmeier habe seit Jahrzehnten ein "Spinnennetz der Kontakte" geknüpft - so Melnyk wörtlich gegenüber dem "Tagesspiegel". Laut "Spiegel" bezeichnete der Botschafter den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, als "Arschloch".
Kritik wegen Aussagen zu Bandera
Vergangene Woche geriet er dann wegen seiner Äußerungen über den ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera selbst massiv in die Kritik. Bandera war während des Zweiten Weltkriegs Anführer des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Nationalistische Partisanen aus dem Westen der Ukraine waren 1943 für ethnisch motivierte Vertreibungen verantwortlich, bei denen Zehntausende polnische und jüdische Zivilisten ermordet wurden.
Melnyk bestritt in einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung, dass Bandera ein Massenmörder von Juden und Polen gewesen sei. Der Nationalist sei gezielt von der Sowjetunion dämonisiert worden. Die israelische Botschaft hatte dem Botschafter daraufhin "eine Verzerrung der historischen Tatsachen, eine Verharmlosung des Holocausts und eine Beleidigung derer, die von Bandera und seinen Leuten ermordet wurden" vorgeworfen. Das ukrainische Außenministerium distanzierte sich von Melnyks Aussagen.
Melnyk wies nach tagelangem Schweigen den Vorwurf zurück, er habe mit seinen Äußerungen über Bandera den Holocaust verharmlost. "Jeder, der mich kennt, weiß: Immer habe ich den Holocaust auf das Schärfste verurteilt", schrieb Melnyk auf Twitter. Die Vorwürfe gegen ihn seien "absurd".
Göring-Eckardt: "Unermüdliche Stimme für freie Ukraine"
Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt zollte Melnyk nach Bekanntwerden seiner Abberufung Respekt. "Andrij Melnyk hat sich mit voller Kraft für sein Land eingesetzt. Er ist eine unüberhörbare und unermüdliche Stimme für eine freie Ukraine", erklärte die Grünen-Politikerin, betonte aber, dass sie sich mit Blick auf die Person Bandera nicht einig mit Melnyk sei. "Unabhängig davon wünsche ich ihm alles Beste für ihn persönlich, für seinen künftigen Dienst und vor allem für sein Land."
Melnyk hatte zuletzt Fehler in seiner Kommunikation eingeräumt. Er könne Kritik an seiner Person verstehen, sagte er der "Schwäbischen Zeitung". "Viele emotionale Aussagen bedauere ich im Nachhinein." Das Interview veröffentlichte die ukrainische Botschaft in Berlin am Freitag auf ihrer Homepage. Mit Blick auf den russischen Angriff auf sein Land sagte Melnyk: "Mein Beruf hier in Deutschland als Diplomat wird politisch. (...) Auch wenn ich das nicht möchte." Seine Aufgabe sei es, "dass man hier in Deutschland versteht, was der blutigste Krieg auf unserem Kontinent seit dem Zweiten Weltkrieg bedeutet".