Kämpfe in Kursk Weitere Eroberungen, weitere Evakuierungen
Die Ukraine meldet weitere Eroberungen und Geländegewinne in der russischen Region Kursk. Tausende weitere Russen sollen aus dem umkämpften Gebiet evakuiert werden. Moskau erklärt dagegen, der Vormarsch sei gestoppt.
Die Ukraine kontrolliert nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj inzwischen Dutzende Orte in der russischen Grenzregion Kursk. "74 Ortschaften sind unter der Kontrolle der Ukraine", sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Der amtierende Gouverneur der russischen Region, Alexej Smirnow, hatte am Montag gesagt, 28 Ortschaften in Kursk seien von den ukrainischen Einheiten besetzt.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Das ukrainische Projekt DeepState sieht bisher weniger Ortschaften als Selenskyj unter der Kontrolle Kiews - nämlich 44. Russische unabhängige Medien berichteten von etwa 30 Ortschaften.
Hunderte Quadratkilometer erobert
Selenskyj sagte, die ukrainischen Streitkräfte rückten "trotz schwieriger und intensiver Kämpfe" weiter vor und hätten erneut russische Soldaten gefangen genommen. Der Präsident veröffentlichte ein Video, das ihn bei einem Videotelefonat mit Armeechef Oleksandr Syrskyj zeigt.
Dieser berichtet darin, die ukrainischen Truppen seien "in einigen Gebieten um ein bis drei Kilometer vorgerückt". Binnen eines Tages habe die Ukraine "mehr als 40 Quadratkilometer Territorium" eingenommen. Insgesamt haben die ukrainischen Soldaten nach Angaben des ukrainischen Militärs seit dem Beginn des Vorstoßes am 6. August rund 1.000 Quadratkilometer russisches Staatsgebiet besetzt.
Nach einer Auswertung der Nachrichtenagentur AFP sind ukrainische Truppen bis Montagabend um bis zu 800 Quadratkilometer vorgerückt. Die russische Armee eroberte demnach im selben Zeitraum 69 Quadratkilometer ukrainisches Territorium.
Ziel der Offensive: Russische Angriffe unterbinden
Offenbar verfolgt Kiew mit dem Vormarsch mehrere strategische Ziele: Man sei nicht daran interessiert, das Territorium dauerhaft einzunehmen, sagte der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Heorhij Tychyj. Er begründete die Operation vielmehr damit, dass sie russische Angriffe auf das ukrainische Nachbargebiet Sumy unterbinden solle. Außerdem solle die russische Logistik gestört werden, um zu verhindern, dass Moskau zusätzliche Truppen in das ostukrainische Kampfgebiet Donezk verlegt.
Russland habe in den vergangenen Monaten mehr als 2.000 Angriffe aus der Region Kursk mit Flugabwehrraketen, Artillerie, Drohnen, Gleitbomben und mehr als 100 Raketen durchgeführt. "Der Zweck dieser Operation ist es, das Leben unserer Kinder zu schützen und das Gebiet der Ukraine vor russischen Angriffen zu bewahren", so Tychyj. Zudem sieht Kiew gefangene russische Soldaten in der Region als eine Art Faustpfand. Sie könne man für den nächsten Gefangenenaustausch mit Russland nutzen, sagte Selenskyj.
Auch für mögliche Friedensverhandlungen mit Moskau könne die eroberte Region genutzt werden. So werde die Offensive enden, wenn Russland einem "gerechten Frieden" zustimmt, erklärte Tychyj. "Je eher Russland der Wiederherstellung eines gerechten Friedens zustimmt, desto eher werden die Angriffe der ukrainischen Verteidigungskräfte auf russischem Territorium aufhören."
Tausende weitere Russen fliehen
Aus den Landkreisen im Gebiet Kursk, die durch die Kämpfe betroffen sind, sind nach Behördenangaben bislang etwa 120.000 Menschen geflohen oder in Sicherheit gebracht worden. Für einen weiteren Landkreis bereiten die Behörden Evakuierungen vor. "Bis zum heutigen Tag gab es in unserem Landkreis keine Evakuierung. Alle sind von sich aus weggefahren, niemand hat sie daran gehindert. Heute sammeln wir Daten darüber, wer noch evakuiert werden muss", schrieb der Verwaltungschef des Kreises Bolschesoldatski, Wladimir Sajzew, auf Telegram.
Anders als die bisher evakuierten Landkreise der Region Kursk liegt dieser Kreis nicht in unmittelbarer Nähe der ukrainisch-russischen Grenze, sondern etwa 35 Kilometer weiter landeinwärts. Nach Behördenangaben sollen in dem Landkreis vor Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine rund 11.000 Menschen gelebt haben. Auch aus den grenznahen Landkreisen geht die Flucht unterdessen weiter. Innerhalb der vergangenen 24 Stunden hätten mehr als 2.000 Menschen selbstständig oder in organisierten Kolonnen das Grenzgebiet verlassen, teilte das Katastrophenschutzministerium am Dienstag mit.
Vormarsch laut Kreml gestoppt
Ungeachtet dieser Meldungen erklärte die russische Führung, das Militär habe einen weiteren Vormarsch der ukrainischen Truppen in der Grenzregion gestoppt. Das Verteidigungsministerium teilte mit, russische Einheiten, Flugzeuge und Drohnen hätten mobile ukrainische Gruppen davon abgehalten, tiefer nach Russland vorzudringen. Die ukrainischen Truppen wurden den russischen Angaben zufolge daran gehindert, in die Nähe der Ortschaften Obschtschy Kolodes, Snagost, Kautschuk und Alexejewski vorzudringen.