Ausreiseagentur "Jewish Agency" in Russland droht Verbot
Eine der ältesten jüdischen Organisationen in Russland, die Ausreiseagentur "Jewish Agency", könnte auf Antrag des Justizministeriums verboten werden. Über die Hintergründe wird viel spekuliert.
Man solle mit dieser Sache vorsichtig umgehen, warnte Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow in einer Erklärung zu einem möglichen Verbot der jüdischen Einwanderungsorganisation "Jewish Agency". Es sei nicht notwendig, die Situation zu politisieren und "auf den ganzen Komplex russisch-israelischer Beziehungen zu projizieren".
Das russische Justizministerium hatte nach einer einmonatigen Überprüfung bei einem Moskauer Gericht die Liquidierung der "Jewish Agency" beantragt. Die Organisation, die auch unter dem Namen "Sochnut" bekannt ist, hilft seit 1929 Juden in Russland bei deren Ausreise nach Israel. Im letzten Jahr sollen sich 21.000 jüdische Russen an die gemeinnützige Organisation gewandt haben.
Antragsgrund ist unklar
Weshalb das russische Justizministerium allerdings ein Verbot der "Sochnut" beantragt hat, ist unklar. Laut zuständigem Gericht soll die jüdische Auswanderungsorganisation gegen russisches Recht verstoßen haben. Gegen welchen Paragraphen genau, wurde allerdings nicht öffentlich gemacht. Laut Medienberichten wirft das russische Justizministerium der jüdischen Organisation vor, gegen datenschutzrechtliche Auflagen verstoßen zu haben und personenbezogene Daten zu ausreisewilligen Juden in Russland zu sammeln.
Eine der israelischen Behörden nahestehende Quelle soll gegenüber der israelischen Zeitung "Details" allerdings einen anderen möglichen Grund genannt haben: Die altehrwürdige jüdische Organisation sei "Verhandlungsmasse" für den Kreml.
Moskau sei unzufrieden über die in letzter Zeit zumindest rhetorisch klare Positionierung Israels auf Seiten der Ukraine. Auch versuche Russland Israel damit zu warnen, möglichen Forderungen des amerikanischen Präsidenten Joe Biden nachzukommen und Raketen in die Ukraine zu liefern. Bislang soll Israel allerdings nur Helme, Schutzwesten und andere Ausrüstung für zivile Rettungskräfte in die Ukraine geschickt haben.
"Belastung bilateraler Beziehungen"
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte gegenüber dem YouTube-Kanal "Solowjow Live" diese Woche Andeutungen in eine ähnliche Richtung gemacht. "Wir haben in den letzten Monaten einseitige Rhetorik aus Tel Aviv gehört", warnte sie. Wenn Russland jetzt Kommentare von israelischer Seite höre, dass diese Aktion Russlands die Beziehungen beider Länder belasten könne, "dann möchte ich fragen, ob dieselben Leute nicht der Meinung sind, dass ihre Aktionen und Erklärungen in diesen Monaten bereits die bilateralen Beziehungen beeinflusst haben?"
Als möglicher Grund wurde in russischen Medien ebenfalls der Versuch Russlands angeführt, den "Brain Drain" - also die Abwanderung hochqualifizierter Russen - zu unterbinden. Nach Angaben des israelischen Integrationsministeriums sollen seit Beginn des Ukraine-Krieges knapp 17.000 jüdische Russen nach Israel ausgewandet sein. Das sind doppelt so viele wie im gesamten vergangenen Jahr. Die Dunkelziffer allerdings soll noch viel höher sein, da die meisten Juden aus Russland nicht offiziell auswandern, sondern sich dauerhaft in Israel aufhalten.
Israelische Delegation in Moskau
Auf diese Möglichkeit angesprochen, widersprach Kreml-Sprecher Peskow allerdings. "Nein, das hat mit 'Brain Drain' nichts zu tun." Das hänge mit der Einhaltung russischer Gesetzgebung zusammen. Für Genaueres solle man allerdings beim Justizministerium nachfragen, welches "diese Entscheidung getroffen hat".
Über die genauen Hintergründe des möglichen Verbots lässt sich danach nur spekulieren. Anlässlich des für heute anberaumten Prozesses soll eigens eine israelische Delegation nach Moskau angereist sein. Sollte sich hinter den Kulissen allerdings noch etwas bewegen, ist nicht ausgeschlossen, dass das Gericht seine Entscheidung vertagt.