Italiens Flüchtlingslager in Albanien Formal keine Gefängnisse
In wenigen Wochen soll die erste exterritoriale Flüchtlingsunterkunft der EU eröffnet werden: ein italienisches Flüchtlingslager auf albanischem Boden. Menschenrechtsaktivisten sind besorgt.
Unter viel Applaus und in herzlicher Atmosphäre unterzeichneten am 6. November Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und ihr albanischer Amtskollege Edi Rama ein Abkommen: Flüchtlinge, die in internationalen Gewässern von der italienischen Küstenwache aufgegriffen werden und kaum Aussichten auf Asyl haben, sollen in Zukunft nach Albanien gebracht werden. Dort baut Italien ein Aufnahmelager mit Platz für etwa 3.000 Menschen, die von Albanien aus ins italienische Asylverfahren gehen und nach einer Ablehnung umgehend abgeschoben werden sollen. Meloni hatte im Wahlkampf versprochen, die Zahl der Ankünfte zu reduzieren und abgelehnte Asylbewerber schneller zurückzuführen. Das ist ihr bislang nicht gelungen. Die Übereinkunft mit Albanien soll das ändern - doch viele Fragen sind offen.
Viele ungeklärte Fragen
Beispielsweise, wie viel Italien das Ganze kostet: Italienische Medien sprechen von 650 Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren, die Opposition von bis zu einer Milliarde Euro. Eine offizielle Zahl gibt es nicht. Auch das geplante Vorgehen ist schwer nachvollziehbar: Menschen mit guter Bleibeperspektive oder Kranke soll die Küstenwache weiterhin nach Italien bringen. Doch wie soll die Küstenwache auf hoher See den Gesundheitszustand oder die Identität feststellen? Flüchtende haben in der Regel keine Papiere bei sich, auch gesunde Menschen sind nach Tagen in kleinen Booten auf dem Meer ausgezehrt.
Fraglich ist auch, ob in der Einrichtung auf albanischem Boden alle menschenrechtsrelevanten Standards eingehalten werden. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) kritisiert, dass im Protokoll des Meloni-Rama-Deals rechtsstaatliche Standards nicht thematisiert sind. Dabei gibt es bezüglich italienischer Abschiebe-Einrichtungen bereits große Bedenken. Die sogenannten CPR, Abkürzung für "Centri di Permanenza per il Rimpatrio", auf Deutsch: Aufenthaltszentren für die Rückführung, sind eine Blackbox.
Was geschieht hinter den Toren dieser Abschiebeeinrichtung in Mailand? Teresa Florio bekommt von Bewohnern immer wieder erschreckende Videos zugeschickt.
Kaum rechtliche Standards für CPR-Betrieb
Teresa Florio engagiert sich ehrenamtlich für Flüchtlinge im Abschiebelager in Mailand. Sie zeigt uns Videos, die aus der dortigen Abschiebe-Einrichtung stammen sollen. Zu sehen sind Gewaltexzesse, Bewohner, die mit Psychopharmaka ruhiggestellt werden, Suizidversuche. Wer in Italien ohne gültige Papiere aufgegriffen wird, kann bis zu 18 Monate in solchen CPR festgehalten werden. Selbstverletzungen seien an der Tagesordnung. Denn sie sind die einzige Möglichkeit, den Zuständen zu entkommen, erklärt Florio.
Die CPR sind formal keine Gefängnisse, und genau das sei das Problem, sagt die Aktivistin: In Gefängnissen gelten gewisse rechtliche und medizinische Standards. Die CPR hingegen sind privat im Auftrag des Staats geführte Einrichtungen mit deutlich niedrigeren Standards und nur sporadischen Kontrollen. Der Kontakt von Abschiebekandidaten zum Anwalt sei in der Regel nur per Telefon oder Video-Schalte möglich und zeitlich begrenzt. Besuche von außen sind nahezu unmöglich: Florio sagt, immer wieder würden Grundrechte in den Abschiebeeinrichtungen verletzt. Sie befürchtet, dass die Zustände in der Einrichtung in Albanien noch dramatischer sein werden, da dort noch weniger Kontrolle durch die Zivilgesellschaft möglich sein wird.
Auch für Journalisten ist es kaum möglich nachzuvollziehen, welche Zustände in Abschiebelagern in Italien heute bestehen. Anfragen der ARD blieben unbeantwortet, Interviews wurden abgesagt, Drehgenehmigungen kategorisch abgelehnt. Die Zuständigkeiten sind unklar, auch was das geplante Lager in Albanien anbelangt. Und auch in Albanien selbst sind kaum Details zu den Plänen bekannt - ebensowenig, in welcher Form das Land von dem Deal profitiert.
Albanien denkt an Italiens Hilfe 1991
Albaniens Langzeit-Ministerpräsident Edi Rama spricht fließend Italienisch. Bei einem privaten Treffen sollen er und Meloni in herzlicher Atmosphäre den Deal beschlossen haben - basierend auf einer alten Freundschaft zwischen den beiden Ländern. Außerdem verspricht sich das Land Unterstützung beim EU-Betritt. Geld soll mit dem italienischen Lager nicht verdient werden, betont Rama. Italien muss die laufenden Kosten tragen und 37 Millionen Euro auf eine Art Sperrkonto einzahlen, falls Abmachungen nicht eingehalten werden. Ansonsten unterstehen die in der Unterkunft beschäftigten italienischen Beamten der italienischen Gerichtsbarkeit.
Viele Albanerinnen und Albaner scheinen die Ansicht Ramas zu teilen und sehen das Abkommen positiv. Die enge Zusammenarbeit mit Italien weckt Erinnerungen an 1991, als Tausende nach Italien flohen und dort aufgenommen wurden. Die Bilder des überfüllten Frachters "Vlora" gehen damals um die Welt.
Je näher man aber dem Standort des geplanten Lagers kommt, desto häufiger trifft man auch auf Kritiker. Etwa eine halbe Stunde von der Küstenstadt Shengjin entfernt liegt das ehemalige Militärgelände im hügeligen Hinterland, das nun den Italienern zur Verfügung gestellt wird. Baufahrzeuge arbeiten, abgeschirmt von einem hohen Zaun. Elton Laska, ein albanischer Rechtsanwalt, versucht durch den Zaun einen Blick auf das Areal zu erhaschen. Er wollte das italienische Lager gerichtlich verhindern - erfolglos.
Er sieht das Migrationszentrum als ein riesiges Gefängnis und befürchtet, dass es dort große Unruhe geben wird und Ausbruchsversuche. Dass das Lager wie angekündigt am 20. Mai eröffnet wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Dazu ist der Bau noch nicht weit genug fortgeschritten.
Diese und weitere Reportagen sehen Sie heute um 18:30 im "Weltspiegel".