Mindestens 59 Tote in Süditalien "Eine Tragödie, die man niemals erleben möchte"
Die Suche nach weiteren Opfern der Katastrophe vor Italiens Küste ist vorerst beendet, etliche Menschen werden noch vermisst. Der Friedhof der Gemeinde ist mit den vielen Toten überfordert. Die Regierung sieht sich in ihrem Kurs bestätigt.
Als es dunkel wird und die Wellen des unruhigen Meeres vor der Küste Kalabriens noch größer werden, gibt Giuseppe La Rosa das Signal, die Suche nach Überlebenden vorerst einzustellen. Der Chef der verantwortlichen Feuerwehr- und Rettungskräfte ist erschöpft.
Die Eindrücke vom Morgen aber, als der Feuerwehrkommandant als einer der ersten am Unglücksort südlich von Crotone eingetroffen war, gehen ihm nicht aus dem Kopf: "Es war ein Bild, das ich nie hätte erleben wollen". Der Strand sei mit Opfern übersät, das Boot komplett zerstört gewesen. Am härtesten habe ihn getroffen, "dass unter den Opfern auch viele Kinder waren."
Bislang 59 Tote - darunter zwölf Kinder
Die Tragödie begann vor dem Morgengrauen, als ein Fischerboot mit Migrantinnen und Migranten an Bord in stürmischer See und Dunkelheit auf einen Strand an der kalabrischen Küste zusteuerte. In unmittelbarer Nähe des rettenden Ufers prallte das Boot vermutlich gegen einen Felsen und brach auseinander. Die Menschen an Bord stürzten ins Wasser, viele von ihnen hatten in den hohen Wellen keine Chance und ertranken.
Insgesamt 59 Menschen seien gestorben, teilte die zuständige Rettungsleitstelle am Abend mit. Die Leichen sind an die umliegenden Strände gespült oder von Rettungskräften aus dem Wasser gezogen worden. Unter den Opfern sollen sich mindestens zwölf Kinder befinden, das jüngste nur wenige Monate alt.
Friedhof des Ortes reicht nicht aus
Erschütterung ist bei allen zu spüren, die an den Rettungsarbeiten beteiligt waren. Auch bei Antonio Ceraso, Bürgermeister der nahegelegenen Gemeinde Cutro, der die Hilfsbemühungen am Anfang mitkoordiniert hat. Er spricht, ähnlich wie Feuerwehrmann La Rosa, von einer "entsetzlichen Tragödie, die man niemals erleben möchte".
Für die Bestattung, meint der Bürgermeister, müsse er die Nachbarorte Cutros um Hilfe bitten. Er befürchte, dass "aufgrund der so vielen Opfer der Platz bei uns nicht ausreichen wird."
Vermutlich noch etliche Vermisste
Etwa 80 Menschen haben das Unglück nach Angaben der Rettungsleitstelle überlebt. Sie wurden in ein Aufnahmezentrum im Ort Isola di Capo Rizzuto in der Provinz Crotone gebracht.
Die Angaben zur Herkunft der Überlebenden korrigierten die Behörden am Abend. Demnach stammen die Menschen unter anderem aus Pakistan, der Türkei, Afghanistan und Somalia - nicht aus dem Iran, dem Irak und Syrien, wie verschiedene italienische Medien im Laufe des Tages berichtet hatten. Das Boot soll vor vier Tagen aus Izmir in der Türkei gestartet sein.
Wie viele Menschen sich insgesamt an Bord befanden, ist immer noch unklar. Zu Beginn nannten italienische Medien die Zahl 250, die Behörden gehen mittlerweile aber von 150 bis 180 aus. Demnach werden noch bis zu 40 Menschen vermisst. Die Suche nach ihnen soll morgen nach Tagesanbruch fortgesetzt werden.
Regierung sieht sich in ihrer Politik bestätigt
Die Katastrophe vor der kalabrischen Küste hat in Italien eine erneute Diskussion über die Migrationspolitik ausgelöst. Innenminister Matteo Piantedosi betonte bei einem Besuch am Unglücksort, die Regierung werde an ihrem Kurs festhalten: "Wir sind zutiefst überzeugt, dass die Abfahrten der Boote gestoppt werden müssen." Wenn dieses Prinzip durchgesetzt sei, zeigte sich Piantedosi überzeugt, würden "solche Tragödien, solche Situationen zurückgehen."
Ministerpräsidentin Giorgia Meloni drückte ihre Betroffenheit über das Unglück aus und warf denjenigen, die die Überfahrten organisierten, "Unmenschlichkeit" vor. Ähnlich wie ihr Innenminister betonte sie, die italienische Regierung setze auf Zusammenarbeit rund ums Mittelmeer, um Abfahrten von Migrantenbooten zu verhindern.
Oppositionsvertreter kritisierten dagegen, die Regierung Meloni erschwere die Rettungsarbeiten von NGOs auf dem Mittelmeer. Von "Ärzte ohne Grenzen" heißt es in Richtung der politisch Verantwortlichen: Es sei inhuman, inakzeptabel und unverständlich, dass derartige "vermeidbare Tragödien" geschähen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration der UN sind im vergangenen Jahr im Mittelmeer über 2400 Migrantinnen und Migranten ertrunken oder gelten als vermisst.