Gedenken an ermordete Sinti und Roma Von Schmerz, Scham und Diskriminierung
Seit 2015 gibt es den Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma. Mit Bundestagspräsidentin Bas ist erstmals die Vorsitzende des deutschen Parlaments bei dem Gedenken in Auschwitz. Vor Überlebenden spricht sie von Schmerz und Scham.
Bei der Gedenkzeremonie im ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau werden Namen der letzten dort inhaftierten Sinti und Roma verlesen. In der Nacht vom 2. August 1944 wurden sie von der SS in die Gaskammern getrieben und ermordet - trotz erbitterten Widerstands, wie Zeugen später berichteten. Bis in die Nacht habe man Schreie gehört. Mehr als 4.000 Menschen starben.
Eine der letzten noch lebenden Überlebenden, Alma Klasing, trat bei der heutigen Gedenkveranstaltung ans Mikrofon. "Es ist für mich eine große Ehre, dass ich heute hier sein kann. Es wühlt mich gleichzeitig aber sehr auf, an diesem Ort zu sein, an dem unserer Minderheit so viel Leid angetan wurde."
"Jede Minute Angst um unser Leben"
Sie übergibt an die nächste Generation: Eine junge Frau liest Klasings Erinnerungen vor - davon, wie Verwandte sich auf der Wache melden mussten und ins Konzentrationslager geschickt wurden. Und wie ihre Mutter sich mit ihr und dem Bruder im Wald versteckte.
"Wir hatten jede Minute Angst um unser Leben. Tagsüber hockten wir uns in Gruben und bedeckten uns mit Laub. Nachts zogen wir weiter und suchten ein anderes Versteck. Das alles musste geräuschlos verlaufen", erinnert sie sich.
"Immer in der Angst vor der Entdeckung und Deportation. Ernähren konnten wir uns nur von Beeren und essbaren Pflanzen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir irgendwo Hilfe bekommen haben."
Der Überlebende Boleslaw Rumanowski hatte sich mit seiner Familie ebenfalls im Wald versteckt, war aber aufgegriffen und im KZ in Lodsch gefangen genommen worden.
"Wir haben den Krieg überstanden. Leider sind viele meiner Verwandten umgekommen, sie wurden in den Lagern brutal ermordet. In den Ghettos, in den Wäldern haben wir überlebt, obwohl wir jeden Tag mit Tod und unmenschlichem Leid konfrontiert waren", sagt er. "Jeder Tag war ein Kampf ums Leben und jede Nacht voller Angst und Unsicherheit. Meine Geschichte, die meiner Familie, ist voll von Leid und Schmerz, den wir in dieser Zeit erlebt haben."
"Erinnern ist keine Schuldübertragung"
"Es gibt unter uns Sinti und Roma kaum eine Familie, die mit dem Namen Auschwitz nicht die Ermordung ihrer Angehörigen verbindet", sagt Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma. In seiner Familie überlebten nur sein Vater und sein Onkel den Holocaust.
Rose aber blickt nicht zurück, sondern in die Zukunft:
Erinnern an den Holocaust ist keine Schuldübertragung auf die heutige Generation. Es bedeutet aber, gemeinsame Verantwortung zu übernehmen für Demokratie und Rechtsstaat.
Sinti und Roma wurden im Nationalsozialismus systematisch verfolgt, 500.000 von ihnen ermordet. Davon ist Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Gedenkveranstaltung sichtlich bewegt:
"Deutschland hat Ihnen und Ihren Familien furchtbares Leid angetan. Sie mussten durch die Hölle gehen", sagt sie. "Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie heute hier sind!" Es schmerze und beschäme sie, welche Verbrechen Deutsche in Auschwitz begangen haben, betont Bas.
Diskriminierung reicht bis heute
Sie erinnert daran, dass das Leid der Sinti und Roma mit dem Ende des Nationalsozialismus nicht endete: "Der Rassismus verschwand nicht einfach aus den Köpfen. Das Leid der Sinti und Roma wurde nach dem Krieg nicht anerkannt. Gerichte verweigerten den Überlebenden Entschädigungen. Schlimmer noch: Sie machten die Opfer für ihre Verfolgung selbst verantwortlich. Der Völkermord an den Sinti und Roma wurde verschwiegen und verleugnet, kaum ein Täter zur Rechenschaft gezogen."
Bas verweist auf eine Ende des vergangenen Jahres vom Bundestag beschlossene Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts an Sinti und Roma. Weiterhin finde Diskriminierung statt - etwa auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder im Bildungswesen.
Vor diesem Hintergrund appelliert sie: "Es braucht einen Bewusstseinswandel in vielen Bereichen der Gesellschaft. Schluss mit der Suche nach Feindbildern! Schluss mit Abwertung und Ausgrenzung. Wir brauchen Respekt und Akzeptanz."
Erstmals Bundestagspräsidentin bei Gedenken
Mit der Bundestagspräsidentin spricht erstmals die Person mit dem zweithöchsten Staatsamt der Bundesrepublik bei der Veranstaltung. Eine Entschuldigung oder Bitte um Vergebung formuliert sie jedoch nicht.
Die sprach Kulturstaatsministerin Claudia Roth beim zuvor stattfindenden Gedenkakt der politischen und parlamentarischen Repräsentanten aus: Sie bat alle Überlebenden im Namen der deutschen Bundesregierung um Vergebung und sagte, sie neige ihr Haupt vor den Überlebenden und ihren Nachfahren.