Waldbrände in Griechenland "Zurück aufs Land - nur das würde etwas ändern"
Das Ausmaß der Brände in Griechenland ist nicht ungewöhnlich, sagt der Feuerökologe Goldammer. Aber gesellschaftliche Veränderungen hätten dazu geführt, dass die Feuer mehr Nahrung bekämen. Dagegen sei eine Langzeitstrategie erforderlich.
tagesschau.de: Sie beschäftigen sich seit vielen Jahrzehnten mit Waldbränden in Griechenland. Ist das Ausmaß der Feuer, wie wir sie derzeit auf Rhodos, Korfu und Euböa erleben, ungewöhnlich groß?
Johann Georg Goldammer: Es sind nur an wenigen Stellen Waldbrände. Es ist überwiegend die typisch mediterrane Vegetation, die dort brennt, also Buschland. Wir sprechen deshalb von Landschaftsbrand. Auf Rhodos oder Euböa haben wir Brände in einer Kulturlandschaft, die in jüngerer Zeit nicht mehr so intensiv bewirtschaftet wurde, wie dies noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war. Und diese Feuer brennen über die verschiedenen Landschaftselemente hinweg bis in den urbanen Siedlungsraum. Es ist ein sehr großflächiger Brand, der nun auch die Tourismusbranche in Mitleidenschaft zieht.
Die große Anzahl von Bränden ist an sich nicht neu. Dieser Tage sprach man immer wieder von bis zu 60 gleichzeitig brennenden Feuern, die unter Kontrolle gebracht werden mussten. Im Jahr 1985 habe ich auf der griechischen Insel Thasos die Bekämpfung eines großen Brandes unterstützt - damals gab es insgesamt 56 Brände im Land. Aber wenn man einen Vergleich über die vergangenen vier Jahrzehnte zieht, dann haben sich diese alten Kulturlandschaften erheblich verändert und damit auch das Feuerverhalten und die Feuerauswirkungen.
Professor Johann Georg Goldammer leitet die Arbeitsgruppe Feuerökologie und das Global Fire Monitoring Center des Max-Planck-Instituts für Chemie und der Universität Freiburg.
"Das Hauptproblem: Es liegt viel brach"
tagesschau.de: Was hat sich denn vor allem geändert?
Goldammer: In den 1980er-Jahren fanden die vielen Feuer, die es auch damals gab, nicht die Nahrung, die sie heute finden. Durch den Rückgang der Landwirtschaft, die Aufgabe der Landbestellung und Weidewirtschaft, durch die Landflucht der jungen Generation, die Vergreisung der Dörfer und die Ausweitung des Tourismus liegt viel von dem brach, was früher in der Landwirtschaft intensiv genutzt worden ist. Das ist das Hauptproblem.
"Das Landmanagement ins Visier nehmen"
tagesschau.de: Sie haben ja schon nach dem großen Brand 2018 im Athener Vorort Mati, bei dem mehr als 100 Menschen starben, im Auftrag der griechischen Regierung eine Kommission geleitet, die Empfehlungen abgeben sollte. Was ist daraus geworden?
Goldammer: Ministerpräsident Alexis Tsipras bat mich 2018, eine Langzeitstrategie zu entwickeln. Weil es sich um eine große Querschnittsaufgabe handelt, haben wir nach einer landesweiten Umfrage einen nationalen Runden Tisch zusammengerufen, an dem wir verschiedene Behörden - darunter nicht nur Forstverwaltung, Feuerwehr, Landwirtschaft sondern auch Gesundheit, Zivilschutz und Landnutzungsplanung - und Vertreter der Zivilgesellschaft zusammengebracht haben.
Der dort entwickelte Bericht empfahl 2019, das Landmanagement ins Visier zu nehmen - in Anbetracht des gesellschaftlichen Wandels, des Wandels des ländlichen Raums und der Klimakrise. Es ging und es geht um die Innovation des ländlichen Raums.
Tsipras hat dann 2019 die Wahl gegen Kyriakos Mitsotakis verloren, und danach ist sicher einiges umgesetzt worden. Aber insgesamt handelt es sich hier um einen schmerzhaft langwierigen Prozess. Aber ich habe die Geduld eines Forstmanns, der weiß, dass der Wald sehr langsam wächst.
"Wie hat man früher Brände verhindert?
tagesschau.de: Wie soll die Innovation des ländlichen Raums aussehen?
Goldammer: Zum einen geht es um eine Retroanalyse. Wie hat man dort früher gelebt und verhindert, dass die Landschaft so brennbar ist? Natürlich hat man heute andere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, und keiner will zurück zu den Verhältnissen vor 50 oder 100 Jahren. Aber wir sehen in vielen Gesellschaften, dass die Menschen aus überfüllten urbanen Räumen zurück aufs Land gehen. Und nur das würde in der jetzigen Situation etwas ändern.
tagesschau.de: Wie kann man den vielen Menschen, die heute in Griechenland vom Tourismus leben, so einen Wandel schmackhaft machen und ihnen eine verlässliche Perspektive bieten?
Goldammer: Wir müssen uns fragen, ob wir nach der Pandemie und angesichts der Klimakatastrophe noch so weitermachen können. Es gibt herausfordernde und hochinteressante Optionen, die aber gar nicht neu sind. Ich nenne das Stichwort sanfter Tourismus. Hier muss man in einem Land, von dem wir wissen, dass es anfälliger gegenüber Wildfeuern geworden ist, den Touristen etwas anbieten.
Prävention gemeinsam angehen
tagesschau.de: Kann das unter den Bedingungen des Massentourismus funktionieren?
Goldammer: Die Massen wird es mit Sicherheit nicht anlocken. Aber nach den Erfahrungen der großflächigen Zerstörungen und Massenevakuierungen muss etwas geschehen, um die Landschaften, die Siedlungen und die dort lebenden Menschen sicherer zu machen.
Wir haben in unseren Empfehlungen auch den Begriff "Village Defense" gewählt - er soll ausdrücken, dass es bei der Prävention auch ein partizipatives Element gibt, wenn es darum geht, die Katastrophenanfälligkeit des eigenen Hauses, des eigenen Gartens, des Dorfes und der Stadtrandgebiete zu verringern. Bei verwilderten Vorgärten reicht es nicht, wenn das nur einer in Angriff nimmt. Es macht am meisten Sinn, das gemeinsam auf kommunaler Ebene zu machen.
Das gilt auch für den Waldbesitz, und das ist in ganz Europa ein Problem. Wir haben überall eine Fragmentierung des Landbesitzes. Er gehört Menschen, die gar nicht mehr dort leben, sondern in den urbanen Räumen. Ihr Wald wird gar nicht mehr bewirtschaftet. Die Wald- und Landbesitzer spielen aber eine wichtige Rolle bei der "Village Defense" und müssen aktiv mitwirken - auch bei der Feuerbekämpfung.
Zwei Philosophien der Feuerbekämpfung
tagesschau.de: Die griechische Feuerwehr steht massiv in der Kritik, zu spät und nicht adäquat reagiert zu haben - ist das berechtigt?
Goldammer: Aus der Entfernung ist das im Einzelfall schwer zu beurteilen. Grundsätzlich setzt die Regierung darauf, erst die Menschen zu retten, dann Siedlungen und kritische Infrastruktur zu sichern und dann die Landschaft. Das ist eine weltweit akzeptierte Linie, und dennoch kann man darüber diskutieren, ob man den Fokus nicht auch anders setzt.
In den USA ist gesetzlich festgelegt, dass in dem Moment, wo evakuiert wird, alle Menschen ihr Haus verlassen müssen. Das ist die sogenannte "Leave"-Philosophie. In Australien setzt man dagegen auch auf Bleiben und Verteidigen - "stay and defend". Diejenigen, die bleiben können, bleiben so lange wie möglich vor Ort und schützen ihre Gebäude und Landschaften.
"Deutschland hat ein Problem - den Föderalismus"
tagesschau.de: In Deutschland haben wir 2022 ungewöhnlich viele Waldbrände hierzulande erlebt. Haben Sie den Eindruck, dass der Umgang mit diesen Feuern hierzulande besser funktioniert?
Goldammer: Wir haben in Deutschland ein Problem, das viele andere Länder Europas und der Welt nicht haben. Das ist der Föderalismus - er fragmentiert die Zuständigkeiten, sie werden geteilt durch 16. In den Flächenstaaten haben wir 296 Landkreise, 296 Kreisbrandmeister, 22.000 Gemeindefeuerwehren. Und alle sind unabhängig voneinander. Niemand redet dem anderen hinein und lässt sich auch nicht hineinreden.
Das ist sicher nicht nur spezifisch in Deutschland, aber der Rat, den wir aus unserer fachlichen Sicht und mit der Erfahrung aus jahrzehntelangen Beratungsprozessen in vielen Ländern in Asien, Afrika und Europa geben können, ist hierzulande wenig gefragt. Immerhin gab es in den vergangenen Monaten zwei Anhörungen zum Thema Waldbrand und zur Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes im Innenausschuss des Bundestages.
Bevölkerungsschutz - "eine nationale Aufgabe"
tagesschau.de: Welchen Rat würden Sie geben, welche Innovationen halten Sie für erforderlich?
Goldammer: Katastrophenschutz liegt in der Hand der Kommunen, und eine wichtige Rolle spielen die Freiwilligen Feuerwehren. Das ist auch richtig so. Den Kommunen fehlt aber finanzielle Unterstützung der Länder und des Bundes. Und angesichts der Klimakrise, die sich immer weiter verschärft, muss man die Frage stellen, ob Bevölkerungsschutz, der Zivilschutz und Katastrophenschutz nicht eine Aufgabe sind, die national angegangen werden muss - wie die Landesverteidigung.
Wenn in Jüterbog das Land Brandenburg auf einer Kampfmittelfläche Wildnisentwicklung betreibt und damit das Problem verschärft, muss die Gemeinde die Brandbekämpfung bezahlen und nicht das Land. Die Gemeinde hat aber nicht das Geld, beispielsweise den Einsatz eines Löschpanzers zu bezahlen, der zu einem raschen und sicheren Direktangriff eines solchen Feuers benötigt wird - und schlagartig wird aus einem kleinen Brand ein Großbrand. Hier muss es Garantien der Länder geben, sonst wird sich die Brandbekämpfung immer weiter hinziehen wie in Griechenland, und wir werden Jahr für Jahr sagen: déjà-vu.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de