Wahl in Griechenland Die soziale Frage entscheidet
Bis zuletzt hatten die Kandidaten versucht, Punkte bei den Wählern gut zu machen - denn heute steht die Parlamentswahl in Griechenland an. Besonders im Fokus stehen die sozialen Probleme.
Nur wenige Hundert Meter entfernt von dem Platz, an dem Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis am Freitagabend seine letzte Wahlkampfrede hielt, steht Panagiotis Kallinderis. Er ist Rentner, gut gekleidet mit Hemd und Lederschuhen. Und kommt, oft mehrmals die Woche, zu einer Suppenküche, um sich ein paar Lebensmittel abzuholen.
Sogar duschen kann er hier, wenn das Warmwasser daheim zu teuer wird. "Ich bekomme 350 Euro Rente im Monat", erzählt Kallinderis, während er einen Beutel mit Nudeln und Tomatensauce in Empfang nimmt. "Und ich zahle 250 Euro Miete. Bleiben also 100 Euro für Strom, Telefon und so weiter. Deshalb hab ich keine andere Wahl, als hierher zu kommen." Die Heizung hatte er im Winter abgedreht. Die ist zu teuer geworden.
Mitsotakis konnte Arbeitslosenquote fast halbieren
Premier Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia stand auf dem Podium bei seiner letzten Wahlkampfrede, und er wusste: Es sind vor allem die sozialen Themen, die über seine mögliche Wiederwahl entscheiden. Was für ihn spricht: Es geht bergauf mit Griechenlands Wirtschaft. Die Verschuldung ist zwar immer noch die höchste in der Eurozone; aber nirgendwo konnte die Schuldenquote in den letzten drei Jahren so stark gesenkt werden.
Der Export verzeichnet Rekordwerte. Und die Arbeitslosigkeit hat sich in seiner vierjährigen Amtszeit auf weniger als elf Prozent fast halbiert. Dazu kommen Erfolge in der Außenpolitik: Das Verhältnis zur Türkei hat sich seit den schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien im Februar entspannt, weil Griechenland mit als erstes Land Rettungstrupps geschickt hatte. Außerdem schreitet der Mauerbau an der Nordgrenze zur Türkei voran, und nur noch wenige Flüchtlinge kommen über Griechenland in die EU.
Aufschwung kommt nicht bei allen an
Jetzt, während des Krieges gegen die Ukraine, hat Mitsotakis seine Bürger mit einem Zehn-Milliarden-Euro-Zuschuss bei den Energiekosten und mit Einkaufshilfen unterstützt. Und zuletzt hat er den Mindestlohn auf rund 700 Euro angehoben. Trotzdem reicht das für viele nicht. Vor Tausenden Anhängern am Freitag versprach er, dass der Mindestlohn in den nächsten vier Jahren weiter steigen soll, auf 950 Euro, und der Durchschnittslohn auf 1500 Euro. Familien mit Kindern sollen Steuervorteile erhalten.
Sein größter Konkurrent, Alexis Tsipras von der linken Syriza-Partei, ging mit den Versprechungen noch weiter: Der Mindestlohn soll mit ihm sofort auf fast 900 Euro steigen, zudem die Renten. Und die Einkommen im öffentlichen Dienst, um zehn Prozent. Tsipras blieb die Antwort schuldig, woher das Geld kommen soll. Zumal er gleichzeitig die Mehrwertsteuer senken will.
Von 2015 bis 2019, mitten in der Schuldenkrise, war er schon mal Premier. Jetzt wünscht er sich eine zweite Chance, auch wenn er es nicht so nennen will. "Vielmehr wünschen wir uns von ganzem Herzen die Möglichkeit, das erste Mal mit unserem eigenen Programm zu regieren. Ohne Verpflichtungen. Ohne Schäuble und ohne Troika", sagte Tsipras vor seinen jubelnden Anhängern auf dem Verfassungsplatz vor dem Parlamentsgebäude.
Koalition oder zweite Wahl im Juli?
In den letzten Umfragen liegt die Syriza bei rund 29 Prozent und damit rund sechs Prozentpunkte hinter der Nea Dimokratia von Premier Mitsotakis. Die hat seit einem schweren Zugunglück im Februar an Zuspruch eingebüßt, erholt sich in den Umfragen zuletzt aber wieder.
Und sie würde gern allein weiterregieren. Dafür wäre sie allerdings auf eine zweite Wahl Anfang Juli angewiesen, bei der dem Gewinner dann Bonussitze im Parlament zustehen. Tsipras dagegen stellt sich eine "progressive Koalition" vor. Mit wem, lässt er offen. Die sozialdemokratische PASOK, in Umfragen drittstärkste Kraft mit rund zehn Prozent, will sich als möglicher "Königsmacher" nicht festlegen.
Sozialdemokraten sehen Machtmissbrauch
Weder in Richtung Syriza noch in Richtung Nea Dimokratia, sagte Nikos Androulakis. Er wirft beiden Parteien Machtmissbrauch vor. "Sie respektieren weder die Menschenrechte noch den Rechtsstaat, oder die Gewaltenteilung", so der PASOK-Chef. Das ist eine Anspielung auf den Abhörskandal, der Griechenland im vergangenem Jahren erschüttert hatte. Androulakis war selbst Opfer geworden. Und die Fäden führen Richtung Mitsotakis Büro. Der stritt eine Mitschuld ab.
Für Rentner Panagiótis Kallinderis und viele andere Wählerinnen und Wähler ist dieses Thema aber kaum wahlentscheidend. Sie hoffen, dass es mit Griechenland weiter aufwärts geht. Und dass von dem Aufschwung auch bei ihnen etwas ankommt.