Roma in Tschechien An den Rand gedrängt
Heute wird in Europa der in der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma gedacht. In Tschechien steht die Minderheit der Roma auch mehr als 75 Jahre nach Kriegsende noch am Rand der Gesellschaft.
Was das Schicksal der Roma in Tschechien angeht, ist Auschwitz nicht ohne Lety und Hodonin zu denken. Aus diesen beiden Lagern in Böhmen und Mähren starteten die Transporte nach Auschwitz. Besonders Lety dürfte inzwischen den meisten Menschen in Tschechien ein Begriff sein. Ab Mai 1942 wurden dort mehr als 1300 Roma gefangen gehalten, 327 Menschen starben an den Folgen von Hunger und Krankheiten. Von den Überlebenden wurden später die meisten nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nach 1945 waren von den 5000 Sinti und Roma im Protektorat Böhmen und Mähren nur noch 500 am Leben.
Bald soll an diesem Ort eine Gedenkstätte eröffnet werden. Doch der Weg bis hierhin war lang: Von einer in den 1970er-Jahren auf dem Gelände errichteten Schweinezuchtfabrik ging er weiter zu einer jahrzehntelangen Diskussion darüber, wie mit dem Ort umzugehen sei. Vor wenigen Jahren wurde dann ein staatlicher Kaufvertrag abgeschlossen. Lety und das widerstrebende Gedenken an die mörderische Verfolgung der Roma stehen dafür, dass diese ethnische Minderheit - heute etwa 250.000 an der Zahl - es bis heute schwer hat, in der tschechischen Mehrheitsgesellschaft zurecht zu kommen.
Vorbehalte schwinden nur langsam
"Heute leben etwa 80 Prozent der Roma in isolierten Wohngegenden", sagt Jana Horvathova, die Direktorin des Museums für Roma-Kultur in Brünn. "Sie sind sozial benachteiligt, verschuldet und vielfach arbeitslos." Es ist eine über Generationen verfestigte Armut, deren Wurzeln in die kommunistischen Zeiten zurückreichen: "Unter den Kommunisten hatten Roma-Kinder eine sehr schlechte Ausbildung. Die meisten gingen in Sonderschulen mit sehr begrenzen Lehrplänen." Die Sonderschulen sind zwar auf Geheiß der EU offiziell abgeschafft, aber nun heißen sie "Praktische Schulen" - an der Segregation hat sich wenig geändert. Wobei das Konzept der Inklusion in Tschechien ohnehin nicht viele Fürsprecher hat.
Die Integration von Roma sei in der tschechischen Gesellschaft kein Thema, sagt Jana Horvathova.
Die Vorbehalte gegen die Roma in der tschechischen Gesellschaft schwinden nur sehr langsam. In der Politik ist ihre mangelhafte Integration kein Thema. "Von den großen Parteien, die die Regierung bilden, hat keine die Integration der Roma im Programm", sagt Horvathova. Wollten sie das Problem angehen, würden sie nicht gewählt, analysiert die Historikerin. Die Grünen hätten es versucht, heute spielten sie politisch keine Rolle mehr.
Von der Politik haben die Roma also nicht viel zu erwarten. Wo sich etwas bessert, liegt es an Aktivitäten aus der Roma-Community heraus. Die NGO Romea zum Beispiel vergibt jährlich mehr als 350 Hochschul-Stipendien.
Herkunft am besten verschweigen
Oder es liegt an engagierten Einzelpersonen wie Ida Kelarova. Die tschechische Sängerin formt Jahr für Jahr aufs Neue ihren Chor aus 50 Roma-Mädchen und Jungen. Zusammen mit Musikern der tschechischen Philharmonie erarbeiten sie ein Programm aus Roma-Liedern, welches dann öffentlich aufgeführt wird. Denn auch daran fehlt es: am Wissen um die eigene Sprache und Kultur, an Stolz und Selbstbewusstsein - keine unwesentliche Voraussetzung, um in der modernen Welt zurechtzukommen.
Die Kommunisten verlangten Assimilation und viele Roma haben für sich die Erfahrung gemacht, dass sie am besten zurechtkommen, wenn sie ihre Herkunft verschweigen. Kelarova weiß, wovon sie redet: "Ich habe erst nach dem Tod meines Vaters erfahren, dass er ein Rom war. Uns wurde immer gesagt, er sei ein Ruthene."
Langsamer Fortschritt
Es ist heute ein eher gemischtes Bild, was die Lage der Roma in Tschechien angeht. Dafür stehen zwei Ereignisse aus den vergangenen Wochen: Am 19. Juni starb in Teplice der Rom Stanislav Tomas nach einem Polizeieinsatz. Der Vorfall, der auf Video festgehalten wurde, erinnerte an die tödliche Polizei-Gewalt gegen den Amerikaner George Floyd. Die Polizei und der Innenminister waren schnell dabei, die Beamten zu entlasten - Tomas sei durch Drogenmissbrauch herzkrank gewesen. Die Proteste im Ausland waren deutlich lauter als in Tschechien.
Andererseits: Im vergangenen Monat beschloss das Parlament in Prag, Frauen, die zwischen 1966 und 2012 zwangsweise sterilisiert wurden - und das sind überwiegend Angehörige der Roma-Minderheit - mit knapp 12.000 Euro zu entschädigen. Die Roma in Tschechien kommen derzeit nur langsam voran.