Feministische Außenpolitik Verteidigung - "keine Männersache"
Feministische Außenpolitik steht für Abrüstung. Ist der Ansatz in Kriegszeiten obsolet? EU-Politikerinnen halten dagegen: Zum Peacekeeping gehöre ein Infragestellen von Machtstrukturen.
"Natürlich ist das jetzt, was Putin da macht, eine unfassbare militärische Aggression. Und es ist klar, dass wir darauf leider auch militärisch antworten müssen", sagt Hannah Neumann, Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament und Friedens- und Konfliktforscherin. Trotzdem schmerzt es sie, dass nun nationale Armeen wieder aufgerüstet werden. "Aber dass er so mächtig ist und so aggressiv angreifen kann und wir uns davon so abhängig gemacht haben, hat ja was damit zu tun, dass wir viel zu lange genau diese toxische Männlichkeit und diese patriarchalen Strukturen in den internationalen Beziehungen akzeptiert haben."
Toxische Männlichkeit und patriarchale Strukturen sind die Schlüsselwörter, um zu verstehen, worum es bei feministischer Außenpolitik geht. Eine der Vordenkerinnen in Deutschland auf dem Gebiet ist Kristina Lunz - Diplomatin, Beraterin und Mitgründerin des Centre for Feminist Foreign Policy in Berlin. Aus ihrem Hause stammt bereits eine Studie, die für das Europäische Parlament untersuchte, wie eine feministische Außenpolitik in EU-Entscheidungen berücksichtigt werden kann.
Einfach nur mehr Frauen in höhere sicherheitspolitisch relevante Positionen zu befördern delegitimiere das Konzept, sagt Lunz und führt aus: "Feministische Außenpolitik stellt die herkömmlichen Paradigmen von Außen- und Sicherheitspolitik infrage. Der Sicherheitsbegriff ist beschränkt, fußt auf militärischer Sicherheit, nationalstaatlicher Sicherheit. Feministinnen in der Außenpolitik sagen: Das, was Grenzen sicher hält, ist bei weitem nicht das, was Menschen sicher hält."
Erster Internationaler Frauen-Friedenskongress
Menschen bräuchten zunächst einmal Zugang zu sauberem Trinkwasser, Schulbildung und ein Dach über dem Kopf. Waffen brächten nichts dergleichen, schreibt Kristina Lunz in ihrem Buch "Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch". Weltweit gaben Staaten im Jahr 2020 knapp zwei Billionen US-Dollar für Militär und Verteidigung aus, in Friedensmissionen flossen gerade einmal 6,5 Milliarden US-Dollar. Deutschland liegt auf Platz 7 der Länder mit den höchsten Ausgaben für Verteidigung - und nun sollen es noch mehr werden.
Die Anfänge der feministischen Außenpolitik reichen zurück bis in das frühe 20. Jahrhundert. 1915 kamen über 1000 Frauen aus einem Dutzend Länder im niederländischen Den Haag zum ersten Internationalen Frauen-Friedenskongress zusammen. Es ist die Zeit des Wettrüstens im Ersten Weltkrieg: Frauen haben keinen Zugang zu Machtstrukturen der Außenpolitik - dürfen in Deutschland noch nicht einmal wählen. Trotzdem oder gerade deswegen erheben sie ihre Stimmen gegen die Kriegsrhetorik und stellen eine lange Liste von Forderungen auf: Abrüstung, Mediation als Konfliktlösungsmittel, eine Demokratisierung von Außenpolitik sowie ein Ende der privaten Rüstungsindustrien.
Wie visionär und weit voraus die Frauen der Zeit waren, zeigte sich, als 1949 die Charta der gerade erst gegründeten Vereinten Nationen verabschiedet wurde: Staaten wurde es verboten, Gewalt anzudrohen oder diese anzuwenden. Einzig die Forderung nach universeller Abrüstung und einem Ende der privaten Rüstungsindustrien hat es bislang nicht ins Völkerrecht geschafft. Bis heute, so schreibt es Lunz, wird sie als naiv verschrien.
"Wir brauchen Waffen" - aber nicht "in den falschen Händen"
"Was ich gut finde, ist, dass wir realisiert haben, dass wir in Verteidigung investieren müssen. Ich habe das unterstützt", sagt Assita Kanko, belgische Sachbuchautorin und Aktivistin. Als junges Mädchen wurde sie in Burkina Faso beschnitten - seitdem kämpft sie für Frauenrechte und gegen religiöse Unterdrückung.
"Ich denke, dass Verteidigung keine Männersache ist, sondern mehr Frauen in den Friedensprozess miteingebunden werden müssen. Dafür plädiere ich im Sicherheits- und Verteidigungsausschuss", sagt Kanko, die als erste schwarze Frau für die Europäischen Konservativen und Reformer im EU-Parlament sitzt. "Damit wir mehr Genderdiversität haben, wie wir Krieg und Frieden sehen. Wir brauchen Waffen, um abzuschrecken, aber sie sollten nicht in die falschen Hände geraten. Ich hoffe, wir müssen sie nicht benutzen."
Also doch eine verstärkte Militarisierung? Die Situation habe sich eben grundlegend geändert, sagt Kanko. Dass Ukrainerinnen und Ukrainer nun zu den Waffen greifen und sich selbst verteidigen - das ist für die feministischen Außenpolitikerinnen kein Widerspruch. Das Recht der Selbstverteidigung sieht die UN-Charta vor.
Trotzdem gilt es auch für Kanko, nicht den Fokus zu verlieren: Nur sechs Prozent der Unterzeichner weltweiter Friedensabkommen sind Frauen. Ein Mangel an der weiblichen Sicht während und nach eines Krieges könne nicht zu Frieden führen. Denn sie vertreten oft nicht nur sich selbst, sondern auch andere marginalisierte Gruppen, sagt sie: "Wir brauchen alle Perspektiven. Ich war in Liberia, wo Frauen um Leymah Gbowee, die den Friedensnobelpreis gewonnen hat, in den Friedensprozess mit einbezogen wurden - was zum Ende des Krieges in Liberia geführt hat. Und das nicht nur, weil sie Frauen sind, sondern weil dadurch die Stimmen, die sonst nicht gehört werden, gehört wurden."
"Feminist European Green Deal"
Verstärkte Ansätze von feministischer Außenpolitik haben bisher Mexiko, Luxemburg, Schweden, Libyen, Frankreich, Kanada und Spanien formuliert. Und sie berührt nicht nur die Sicherheitspolitik, sondern wirkt auch in andere Bereiche hinein. Die SPD-Politikerin Delara Burkhardt, jüngste deutsche Abgeordnete im EU-Parlament, stellte kürzlich den Feminist European Green Deal vor - eine Studie, die untersuchte, wie ein gerechter ökologischer und feministischer Wandel funktionieren kann.
Die europaweite Abhängigkeit von russischem Gas und die Forderung nach einer Wiederbelebung der Atomkraft seien jedenfalls keine feministischen Ansätze, sagt Burkhardt. Das für die Atomkraft benötigte Uran stamme nur zu 0,5 Prozent aus der EU, ein Fünftel komme weiterhin aus Russland. "Wir wissen, dass gerade bei dem Abbau von Uran vulnerable Gruppen stärker gefährdet sind. Rein biologisch und physisch nehmen Frauen und Kinder stärker Schäden an durch radioaktive Strahlung, das haben wir bei Fukushima gesehen. Es hat aber auch bei der Fukushima-Krise gezeigt, dass Reparationszahlungen, obwohl Frauen stärker betroffen waren, mehr an Männer gegangen sind. Und deshalb ist es wichtig, da mit einer feministischen Perspektive draufzuschauen."
Hätte man das alles also vorhersehen können? Schließlich sind die Forderungen nach einer energiepolitischen Unabhängigkeit oder die nach einer globalen Entmilitarisierung längst bekannt. Hätte der Krieg also verhindert werden können, wenn die feministische Außenpolitik bereits überall vorherrschen würde?
Unseriöse Spekulation, findet Autorin Lunz. Noch lebe man ja in keiner Gesellschaft, in der patriarchale Strukturen aufgelöst seien: "Wenn man die letzten 100 Jahre nimmt, mindestens seitdem 1915 in Den Haag 1200 Feministinnen zum 1. Internationalen Frauen-Friedenskongress zusammenkamen, hätte man schon damals auf deren Forderungen gehört, dann würden wir in einer weniger gewaltvollen Welt leben."