Internationaler Strafgerichtshof
FAQ

Haftbefehl gegen Putin Was die Entscheidung des Strafgerichtshofs bedeutet

Stand: 17.03.2023 19:48 Uhr

Wegen Kriegsverbrechen will der Internationale Strafgerichtshof Kremlchef Putin vor Gericht bringen. Was sind die Hintergründe des nun erlassenen Haftbefehls - und was kann dieser bringen?

Von Frank Bräutigam und Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Was hat der Internationale Strafgerichtshof entschieden?

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat zwei Haftbefehle erlassen - gegen Präsident Wladimir Putin und die russische Beauftragte für Kinderrechte, Maria Lwowa-Belova. Der juristische Vorwurf lautet "Kriegsverbrechen". Konkret geht es um die Verschleppung von Kindern aus der Ukraine nach Russland, die spätestens ab Februar 2022 stattgefunden haben sollen.

Es gebe hinreichende Gründe dafür, dass Putin selbst dafür strafrechtlich verantwortlich sei, so das Gericht. Im Mai hatte der russische Präsident ein Dekret unterschrieben, um ukrainische Kinder schneller in Russland einbürgern zu können. Putin habe laut Haftbefehl darüber hinaus auch nicht auf seine zivilen und militärischen Untergebenen eingewirkt, um sie von den Kriegsverbrechen abzuhalten.

Der Gerichtshof hat die Haftbefehle veröffentlicht, auch weil die Verbrechen noch andauerten und die Veröffentlichung dazu beitragen könne, weitere Straftaten zu verhindern. Den genauen Inhalt der Haftbefehle hat man aber nicht öffentlich gemacht, um die Opfer zu schützen. Der Chefankläger des Gerichtshofs, Karim Khan, hatte bei einem Besuch in der Ukraine Anfang März bereits das Augenmerk auf die Deportation ukrainischer Kinder gelegt. 

Was bedeuten die Haftbefehle?

Solange Putin und Lwowa-Belova in Russland bleiben, haben die Haftbefehle eher eine symbolische Bedeutung. In Russland kann der Internationale Strafgerichtshof die beiden nicht festnehmen lassen. Der Gerichtshof hat keine eigene Polizei, die er nach Russland schicken könnte, um dort jemanden zu verhaften.

Eine Auslieferung Putins wäre frühestens nach einem Machtwechsel in Russland realistisch, aber auch dann nicht sicher. Mit einem Prozess in absehbarer Zeit ist also eher nicht zu rechnen. Ein Prozess in Abwesenheit ist in Den Haag nicht möglich.

"Keine Verfahren in Abwesenheit", Tobias Reckmann, ARD Brüssel, zum Haftbefehl gegen Putin

tagesschau24 17:00 Uhr, tagesschau, 17.03.2023 17:00 Uhr

Warum ist die Entscheidung trotzdem wichtig?

Der Vorwurf, dass Putin als Staatschef für Kriegsverbrechen verantwortlich sei, ist ein dickes Ausrufezeichen und hat eine enorme symbolische Wirkung. Darüber hinaus ist Putin durch die Haftbefehle in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Würde er in Staaten reisen, die Mitglied des Gerichtshofs sind, würde ihm dort die Verhaftung drohen. Auch seine Immunität als Staatsoberhaupt würde ihn bei dem Vorwurf der Kriegsverbrechen nicht vor einem Prozess in Den Haag schützen.

Ermittler auf allen Ebenen betonen immer wieder, dass sie einen langen Atem haben. Und verweisen darauf, dass sich auch lange Zeit niemand habe vorstellen können, dass Serbiens Ex-Präsident Slobodan Milosevic einmal in Den Haag auf der Anklagebank sitzen würde. Außerdem zeigt die Entscheidung, dass die diskutierte Einrichtung eines Sondertribunals nicht die Bedingung dafür ist, gegen Putin vorzugehen. 

"Verschleppung von Kindern ins Ausland", Demian von Osten, ARD Moskau, zum Haftbefehl gegen Putin

tagesschau24 17:00 Uhr

Warum ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig?

Den Internationalen Strafgerichtshof gibt es seit 2002. 123 Staaten haben ihn anerkannt, darunter Deutschland. Nicht anerkannt haben ihn zum Beispiel die USA, China, Israel oder Syrien, Russland und die Ukraine.

Dennoch kann der IStGH im konkreten Fall auch russische Verbrechen in der Ukraine verfolgen, denn die Ukraine hat in zwei Erklärungen 2014 und 2015 nach der Annexion der Krim durch Russland eine sogenannte "ad hoc-Anerkennung" ausgesprochen und damit bis heute Ermittlungen des IStGH auf ihrem Staatsgebiet zugestimmt. 

Ist nicht ein Sondertribunal die Voraussetzung dafür, um die russische Staatsspitze vor Gericht zu bringen?

Nein. Dass das diskutierte Sondertribunal nicht erforderlich ist, um gegen Putin zu ermitteln und ihn vor Gericht zu bringen, zeigen die Haftbefehle, die der Internationale Strafgerichtshof jetzt erlassen hat. Für die Delikte "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und "Völkermord" ist eine Anklage ohne Änderung von Statuten nach jetziger Rechtslage möglich, auch gegen Putin.  

Warum wird dann über ein "Sondertribunal" neben dem IStGH diskutiert?

Weil eine Strafverfolgung wegen des "Verbrechens der Aggression" (Angriffskrieg) gegen Vertreter der russischen Staatsspitze am IStGH derzeit nicht möglich ist. Der Gerichtshof darf dieses Delikt nur für Personen aus Staaten anwenden, die seinem Statut beigetreten sind. Das ist Russland nicht.

In dem Fall wäre die Strafverfolgung wegen der Aggression nur möglich, wenn der UN-Sicherheitsrat den Fall nach Den Haag überweisen würde. Das könnte Russland aber mit seinem Veto-Recht blockieren. Für die Verfolgung Putins wegen des "Verbrechen der Aggression" besteht also im konkreten Fall eine rechtliche "Lücke".

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 17. März 2023 um 17:00 Uhr.