"Fit for 55" im EU-Parlament Aus für Verbrennungsmotoren ab 2035?
Das EU-Parlament will heute ein umfassendes Gesetzespakt zu den Klimazielen auf den Weg bringen. Dazu zählt auch das Aus für Verbrennungsmotoren ab 2035 - gegen das Lobbyverbände bis zuletzt Druck machen.
Es ist das umfangreichste Gesetzespaket zum Klimaschutz, über das im EU-Parlament jemals binnen eines Tages abgestimmt worden ist. Um insgesamt acht entscheidende Teile für den gesamten europäischen "Green Deal" geht es, der selbst mehr als 50 Gesetzesvorhaben umfasst. Eine Mammutaufgabe, sagt der liberale Abgeordnete Pascal Canfin, Vorsitzender des Umweltausschusses: "Dieses Paket ist eines der größten im gesamten europäischen 'Green Deal', auch wenn der an sich noch weit umfangreichere legislative Regelungen hat", sagt er. "Wir nehmen uns jetzt aber dieses eine große Stück vor."
Ein Stück, in dem es um die ganz großen Fragen mit Blick auf den Klimaschutz geht: um den europaweiten und einheitlichen CO2-Handel, um den sogenannten Klimaschutz-Zoll, mit dem etwa Stahleinfuhren in die EU reduziert werden sollen, die mit hohem Kohlendioxid-Ausstoß produziert wurden. Und um die CO2-Grenzwerte für Autos und Flugzeuge oder um den Sozial-Klimafonds, der besonders hohe finanzielle Belastungen durch den Umbau hin zur 55-prozentigen CO2-Reduktion bis 2030 für Konsumentinnen und Konsumenten sowie für die Mitgliedsstaaten abfedern soll. Denn das ist ja der erste handfeste Schritt auf dem Weg zur vollständigen Klimaneutralität der EU in der Jahrhundertmitte.
Widerstand in den Detailfragen
Im Europäischen Parlament gibt es grundsätzlich viel Unterstützung für diesen Kurs, der sich "Fit for 55" nennt, sogar in der christdemokratischen EVP-Fraktion oder bei den Liberalen in der sogenannten Renew-Gruppe. Unterstützung kommt auch von den Sozialdemokraten und von den Grünen ohnehin.
Allerdings, sagt Bas Eikhout, niederländischer Abgeordneter der Grünen: Je mehr es um die Details gehe, um so größer werde der Widerstand - vor allem bei den Konservativen. Tatsächlich hatte das EU-Parlament vor zweieinhalb Jahren mit großer Mehrheit und in einer symbolischen Erklärung den Klimanotstand in Europa ausgerufen - jetzt, so Eikhout, gehe es aber eben nicht mehr nur um Symbolpolitik: "Als das Parlament damals über den Klimanotstand abstimmte, da war es offenbar für viele ausgemachte Sache, dass das eine Abstimmung ohne Konsequenzen sei. Das war es aber nicht. Jetzt, wo wir der Gesetzgebung immer näher kommen, sehen wir, dass viele zunehmend nervös werden. Und genau da stehen wir im Moment."
Dabei lasse sich mit dem Ziel 55 Prozent weniger CO2 bis 2030 nicht einmal mehr verhindern, dass die Durchschnittstemperatur auf dem Globus weiter steige. Wenn es Europa also ernst meine mit dem Klimaschutz, dann sei es das Minimum dessen, was man erreichen müsse, um noch Schlimmeres zu verhindern.
Lobbyverbände steigern den Druck
Tatsächlich verstärkten die großen Lobby-Organisationen in den vergangenen Tagen offenbar den Druck auf Parlamentsmitglieder, um Klimaziele in diesem Gesetzespaket weniger streng ausfallen zu lassen. In einem offenen Brief von fast 400 Industrieunternehmen aus der EU, zu denen auch der internationale Stahlkonzern Acelormittal oder die BASF gehören, heißt es etwa, dass die EU-Absichten - den Emissionshandel zu verschärfen oder einen CO2-Grenzzoll einzuführen - zu weit gingen. Die Industriegewerkschaft Metall aus Deutschland oder das Unternehmen Bosch verlangen, das geplante Verbot von neuen Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 zu kippen.
Das stößt bei Christdemokraten auf offene Ohren. Von dort kommt die Forderung, mehr synthetische und CO2-neutrale Kraftstoffe zu entwickeln oder den Wasserstoff-Antrieb voranzutreiben - dann hätten Verbrenner im Auto durchaus eine Zukunft.
Der SPD-Europaparlamentarier und Umweltpolitiker Tiemo Wölken hält das für keine gute Idee. "Um auch nur fünf Prozent des Straßenverkehrs mit eFuels zu dekarbonisieren, bräuchten wir mehr als das gesamte EU-Wasserstoffaufkommen für 2030. Zudem bringt Wasserstoff in der Industrie vier Mal so viel wie im Straßenverkehr", erklärt er. "Und mit dem EU-Ziel beim Wasserstoff für 2030 könnten wir zum Beispiel den gesamten EU-Stahlsektor dekarbonisieren und damit 200 Millionen Tonnen CO2 einsparen." Wenn man den Wasserstoff für Autoantriebe einsetzen würde, könne dieses Ziel nicht erreicht werden.
So zeigt sich bei diesen entscheidenden Abstimmungen im EU-Parlament zum künftigen Klimaschutz in Europa, wie schwierig es ist, die selbst gesteckten Ziele zu erreichen, wenn es konkret wird. Hinter die Vorschläge der EU-Kommission dürfe man deshalb nicht zurückfallen, heißt es. Damit rechnet auch kaum jemand - ganz sicher ist das allerdings nicht.