Gasnotfallplan der EU Stärker gespart als vorgegeben
Vor einem Jahr hat die EU auf den russischen Einmarsch in der Ukraine und einen drohenden Gasmangel reagiert - mit einem Sparplan, der im Notfall verpflichtend werden sollte. Was hat er gebracht?
Im vergangenen Sommer rechneten die EU-Kommission und einige Mitgliedsstaaten mit dem Schlimmsten - dass Russland der Europäischen Union den Gashahn ganz zudrehen und der Winter hart werden könnte. Für diesen Ernstfall wappnete sich Europa mit dem Gasnotfallplan. Er gibt den EU-Ländern zunächst freiwillige Ziele fürs Energiesparen vor: Sie sollten ihren Gasverbrauch um insgesamt 15 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre senken. Das entspricht nach Rechnung der Kommission etwa 45 Milliarden Kubikmetern Gas.
Wie die Mitgliedsstaaten das erreichen, bleibt ihre Sache: auf erneuerbare Energien umsteigen, kürzer duschen, weniger kühlen und heizen. Im Falle eines Versorgungsengpasses kann das Sparziel verpflichtend gemacht werden. Dafür müssen mindestens fünf Regierungen Alarm schlagen und die meisten anderen EU-Länder mitziehen.
Das Wetter half mit
So weit ist es nicht gekommen. Zwar drosselte Moskau die Gaslieferungen an die EU, aber die Temperaturen im vergangenen Winter blieben vergleichsweise mild. Auch deshalb konnte die EU ihre Sparziele übererfüllen: Zwischen vergangenem August und Januar dieses Jahres ging der Gasverbrauch um 19 Prozent zurück.
Nach Angaben der Brüsseler Denkfabrik Bruegel war im vergangenen Sommer die Industrie für den Löwenanteil der Einsparungen verantwortlich. Im Herbst senkten Haushalte ihre Nachfrage erheblich, teilweise wegen des überdurchschnittlich warmen Wetters. Im ersten Quartal dieses Jahres lag die Gasnachfrage in der EU laut Bruegel 18 Prozent unter dem Durchschnitt der Jahre 2019 bis 2021.
In Deutschland befinden sich die Verbrauchszahlen laut Bundesnetzagentur auf ähnlichem Niveau. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte im vergangenen Jahr erklärt, dass man besonders von russischen Gaslieferungen abhängig sei und deshalb mehr einsparen müsse als der EU-Durchschnitt.
Trügerische Subventionen verhindert
Bruegel-Energieexperte Georg Zachmann hält den Notfallplan grundsätzlich für ein entscheidendes Instrument, um die Gaskrise zu bewältigen und den Binnenmarkt zu schützen:
Ohne die Verpflichtung zur Nachfragesenkung hätten einzelne Mitgliedstaaten ihren Gaskunden möglicherweise großzügig Geld gegeben, um es Haushalten und ihrer Industrie zu ermöglichen, weiterhin immer teurer werdendes Gas auf dem Binnenmarkt zu kaufen. In letzter Konsequenz wären also nationale Subventionen genutzt worden, um die Gasspeicher anderer Länder leer zu kaufen. Selbst am Anschein einer entsprechenden Entwicklung wäre der Binnenmarkt schnell zerbrochen.
Dabei stritt die EU im vergangenen Sommer wochenlang über Einzelheiten der Regelung. Mit dem schließlich umgesetzten Notfallplan schickte die EU Botschaften nach innen und nach außen: Sie signalisierte dem Kreml, dass sie auch auf einen vollständigen Gaslieferstopp vorbereitet ist.
Gleichzeitig wurden die Mitgliedsstaaten angehalten, sich schneller von Russland unabhängig zu machen, offenbar mit Erfolg: Nach Angaben eines Kommissionssprechers sind die Gaslieferungen über Pipelines, die vor dem Krieg gegen die Ukraine etwa die Hälfte der Einfuhren in die EU ausmachten, auf acht Prozent gesunken.
Notfallplan gilt auch für kommenden Winter
Deutschland bezog zum Beispiel viel Erdgas von seinen EU-Nachbarn Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Außerdem gingen Kohlekraftwerke wieder ans Netz, um Gas zu sparen. In öffentlichen Gebäuden wurden wenig genutzte Bereiche nicht geheizt.
Frankreichs Regierung hielt Behörden an, weniger zu kühlen und zu heizen. Geschäfte mussten ihre Türen schließen, wenn Klimaanlagen oder Heizungen liefen. Auch Italien und Spanien machten Vorgaben fürs Kühlen und Heizen in öffentlichen Gebäuden.
Ausnahmen in Schlüsselbranchen
Der Gasverbrauch kritischer Industrien etwa zur Produktion von Nahrungs- oder Düngemitteln wird nicht aufs Einsparziel angerechnet. Ausnahmen gibt es außerdem, wenn Staaten viel Gas zur Stromgewinnung brauchen oder wenn sie es an EU-Partner liefern. In akuten Notlagen sollen sich Mitgliedsstaaten gegenseitig aushelfen. Die Inselstaaten Malta, Zypern und Irland, die nicht am europäischen Gasleitungsnetz hängen, sind ganz von der Regelung ausgenommen.
Im Frühjahr beschlossen die EU-Regierungen, die Einsparvorgaben um ein weiteres Jahr zu verlängern. Sie setzen sich nun bis Ende März 2024 das freiwillige Ziel, ihre Gasnachfrage um weitere 15 Prozent zu senken.
Die EU kann auch künftig Alarm auslösen und das Einsparziel verpflichtend machen. Aber die Hoffnung bleibt, dass die Gemeinschaft einen Plan vorhält für einen Ernstfall, der weiterhin nicht eintritt.