EU-Rechnungshof 300 Milliarden Euro Fördergelder nicht abgerufen
Rund 300 Milliarden Euro an Fördergeldern sind nach Angaben des EU-Rechnungshofs noch offen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Experten kritisieren vor allem die komplexe Bürokratie, um überhaupt einen Antrag zu stellen.
Die Zahlen klingen gewaltig: Laut dem Europäischen Rechnungshof sind inzwischen sagenhafte 300 Milliarden Euro an Fördermitteln nicht abgerufen worden. Der Berg ist doppelt so groß wie ein kompletter Jahreshaushalt der EU. Man könnte sagen: Da wartet viel Geld auf Abholung.
Lassen die Mitgliedsstaaten also finanzielle Chancen fahrlässig verstreichen, statt ihre Regionen zu päppeln und soziale Projekte zu unterstützen, wofür die Fördertöpfe, die im Brüsseler Bürokraten-Sprech EFRE oder ESF heißen, eigentlich gedacht sind?
Fördermittel sind zu großen Teilen verplant
Ganz so einfach ist es nicht. Denn das Geld ist zu großen Teilen fest verplant, wird aber aus unterschiedlichen Gründen nicht - oder: noch nicht - ausgegeben. Abgerechnet wird zum Beispiel nämlich meistens erst dann, wenn das Schwimmbad oder die Kläranlage oder der Windpark fertig ist. Manchmal fehlen aber auch geeignete Projekte, oder die vorgeschriebenen Eigenanteile, die von den Auftraggebern mitgebracht werden müssen.
Es ist also ganz offensichtlich nicht so leicht, die Gelder sozusagen auf die Straße zu bringen. Ein großes Problem, sagt Rechnungshof-Präsident Klaus-Heiner Lehne. "Die Gelder sollen ja Wirkung entfalten. Sie sollen in Infrastruktur investiert werden, sie sollen dafür sorgen, dass Arbeitsplätze entstehen. Sie sollen Lebensbedingungen verbessern. Das ist natürlich nur dann möglich, wenn das Geld auch tatsächlich eingesetzt wird."
Probleme fangen oft schon bei den Anträgen an
Immer wieder sind laut Rechnungshof aber auch die zuständigen Verwaltungen schlicht überfordert. In manchen Mitgliedsstaaten fehlt die Planungskapazität, um die entsprechenden Projekte auf den Weg zu bringen. "In der Statistik ist es so, dass Finnland am effektivsten arbeitet, und Italien hat die meisten Probleme, das Geld auf die Straße zu bringen. Deutschland liegt irgendwo im Mittelfeld", sagt Lehne.
Was unter anderem daran liegt, so sagt es der Rechnungshof-Präsident, dass die deutsche Verwaltung zu einer "stark entwickelten Komplexität" neigt. Soll heißen: Es gibt zu viel Bürokratie.
Aber auch die europäischen Vorschriften sind oft eine hohe Hürde. Die Probleme fangen schon bei den Anträgen an, sagt der grüne Europa-Abgeordnete Niklas Nienass. Er kennt sich im Förder-Dschungel der EU gut aus und findet das gesamte Verfahren viel zu kompliziert. "Es muss einfacher und klarer werden. Wir brauchen lokale Ansprechpartner, die Vereinen und Unternehmensverbänden helfen."
Kommunen häufig auf externe Berater angewiesen
Die Bürokratie überfordert aber auch viele Kommunen. Vor allem kleinere Gemeinden sind häufig auf die Unterstützung externer Berater angewiesen, die sich auf die Beschaffung europäischer Fördergelder spezialisiert haben - und ihre Dienstleistung teuer verkaufen.
Der ganze Prozess sollte dringend entschlackt werden, sagt Lehne. "Im Augenblick ist es ja oft so, dass wenn eine kleine Gemeinde so etwas machen will und der zuständige Stadtoberinspektor solche Beträge anfordern soll, dann kann der das gar nicht. Dann muss der Beratungsunternehmen beauftragen, und die kosten Geld."
Viel wäre gewonnen, wenn Anträge und Abrechnungen einfach online abgewickelt werden könnten - was in manchen Ländern gut, in anderen weniger gut funktioniert. In Deutschland zum Beispiel sieht es da noch ziemlich düster aus.
Nienass wirft Bund Blockadehaltung vor
Der Rechnungshof-Präsident weiß, wer in Sachen digitale Verwaltung EU-weit die Nase vorne hat. "Ich würde mal sagen: Die Skandinavier fast durchgehend, die Balten sind weiter, Frankreich hat massiv aufgeholt. Ich denke, wir haben da einen massiven Nachholbedarf in Deutschland."
Der grüne Europa-Abgeordnete Nienass sieht das genauso und wirft der Bundesregierung vor, in Brüssel bessere Regelungen blockiert zu haben. "Im Rat hat sich Deutschland explizit dafür eingesetzt, dass es keine Verpflichtung für digitale Anträge gibt. Dabei ist es in anderen Ländern einfach möglich, eine Rechnung mit dem Handy einzuscannen und dann per App rüberzuschicken. Das ist natürlich eine super Vereinfachung für Selbstständige und Kleinunternehmen."
Die Probleme sind also vielfältig und wie immer in der EU sind schnelle Lösungen nicht in Sicht. Immerhin: Die 300 Milliarden Euro auf der hohen Kante werden sich nicht einfach so in Luft auflösen. "Das Geld ist nicht weg", sagt Lehne. "Das fällt dann zurück an den europäischen Haushalt. Und wenn es da nicht ausgegeben wird, geht es zurück an die Mitgliedstaaten. Und die Finanzminister freuen sich dann natürlich."