Oppositionelle Dunzowa Der Traum vom "Sonnenaufgang" in Russland
Jekaterina Dunzowa tritt gemäßigt auf und will doch Russland umkrempeln. Bei der Präsidentschaftswahl durfte sie nicht kandidieren. Nun gründet sie eine neue Partei - wenn es ihr denn gelingt.
Eine neue Partei wird heute gegründet - aber die Medien in Russland schweigen über das Projekt namens "Rasswet", Sonnenaufgang. Und auch die Parteigründerin Jekaterina Dunzowa kommt praktisch nicht mehr in den Zeitungen oder im staatlichen Fernsehen vor, seit sie im vergangenen Dezember durch die Zentrale Wahlkommission von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen wurde. Die eingereichten Unterlagen seien fehlerhaft, so die offizielle Begründung. Ende einer Kandidatur nach nur einem Monat. Denn, so glaubt Dunzowa:
Ein Oppositions-Kandidat darf nicht sein wie ich. Sondern muss ein Freak sein, über den man sagt: 'Schaut euch den an, eine seltsame Person.' Wenn der Oppositionskandidat ganz normal ist, könnten die Bürger ja denken: 'Wow! Wir haben doch noch eine Opposition, und die ist ziemlich in Ordnung.'
Vorsichtig in Wortwahl und Auftreten
Gerade dieses ganz Normale, eher Zurückhaltende fällt auf bei der 41-jährigen Journalistin und Juristin, die politisch unauffällig einige Jahre Kommunalpolitik im Gebiet Twer betrieb, bis sie Ende November als völlig Unbekannte auf nationaler Ebene ankündigte, Präsident Wladimir Putin bei der Wahl im März beerben zu wollen.
Überschrift ihrer Wahlkampagne: "Geben wir dem Land die Zukunft zurück!" Vorsichtig in der Wortwahl - um gegen keines der verschärften Zensur-Gesetze zu verstoßen, versprach sie ein Ende des Krieges gegen die Ukraine - oder, offiziell: der Militärischen Spezialoperation.
Niemand erkläre den Russen deren Hintergründe, sagt Dunzowa: "Eine Entnazifizierung der Ukraine - was soll das tatsächlich bedeuten? Vielen ist das nicht klar, aber sie sind gefangen in der Propaganda der landesweiten Fernsehkanäle, die von morgens bis abends über Feinde berichten, die überall sind und bekämpft werden müssen."
Politischer Druck auf Schritt und Tritt
Das Aus für die Präsidentschaftsbewerbung bedeutete keinen Rückzug Dunzowas - ganz im Gegenteil verfolgte sie mit ihren Unterstützern zielstrebig die Gründung einer neuen Partei. Noch im Januar legte das Organisationskomitee von "Sonnenaufgang" los, Dunzowa berichtete äußerst ausführlich via Social Media über jeden Schritt. Sie tourte durch die russischen Regionen, denn in der Hälfte muss es Treffen gegeben haben, bevor der Gründungsparteitag der landesweiten Partei stattfinden kann.
Den sollte es dann Anfang März geben, formal rechtzeitig angemeldet. Aber nur zehn Tage vor dem Termin kündigte das Moskauer Hotel überraschend die Saalmiete - leider, leider, eine Havarie, hieß es.
Politischen Druck erlebte Dunzowa auch bei ihren Reisen durch das Land immer wieder: Mal wurde sie von den Behörden befragt, mal ein Raum mit Unterstützern von der Polizei geräumt.
Denn auf dem Aufgabenzettel der neuen Partei sieht sie Dinge wie die Entlassung aller politischen Gefangenen, die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, den Kampf gegen die weitverbreitete Homophobie, das Ende der sogenannten Militärischen Spezialoperation.
Patriotismus-Ansprache auf Instagram
Auf Instagram, eigentlich in Russland gesperrt, ging sie auf den neuen russischen Patriotismus ein:
Unter Patriotismus wird öfter Treue und Gehorsamkeit zum aktuellen Regime verstanden. Wir hören oft, dass die stärkste Form des Patriotismus die Bereitschaft sei, für unser Land zu sterben. Aber stimmt das wirklich? Oder verlangt man einfach, dass wir die Regierung mit ihrer zweifelhaften Weltanschauung verteidigen? Und andersrum: Die Bürger, die an friedlichen Aktionen teilnehmen und mit den Handlungen des Regimes nicht einverstanden sind, werden immer öfter als Hochverräter gebrandmarkt. Aber warum sind wir Verräter? Ist vielleicht das Gegenteil der Fall? Echte Liebe zur Heimat verlangt, manchmal nicht mit dem Regime und seinen Vertretern einverstanden zu sein.
Den Gründungsparteitag von "Rasswet", gleichsam den Sonnenaufgang, werden in Russland nur wirklich Interessierte mitbekommen. Der 1. Mai ist ein Feiertag und die staatlichen Medien werden sich weiter sehr zurückhalten in der Berichterstattung über Dunzowas Projekt. Die Delegierten treffen sich auch nicht in Moskau, sondern in einem kleinen Vorort namens Golitzyno.
Erstaunlich ist aber, dass der Gründungsparteitag wohl tatsächlich stattfindet; dass es Jekaterina Dunzowa damit gelungen ist, eine neue Oppositionspartei auf den Weg zu bringen.