Cherson Die riskante Suche nach russischen Minen
Nach der Rückeroberung von Cherson durch die ukrainische Armee laufen die Reparaturarbeiten. Doch die russischen Truppen haben unzählige Minen zurückgelassen. Räumtrupps finden "alles, was es in der Sowjetunion gab".
Marina Sjuskinas gesamte Familie liegt zurzeit im Krankenhaus. Sie hält ihre Tochter auf dem Arm und wiegt den Oberkörper hin und her. Die Kleine ist unverletzt, aber gegenüber im Bett liegt Sjuskinas Sohn. Sein Gesicht ist übersät mit Schrammen und kleinen Wunden, das Auge zugeschwollen.
Bei der Flucht vor den Kämpfen in ihrem Dorf in der Region Cherson fuhr der Konvoi der Familie auf eine Mine, erzählt Sjuskina der Nachrichtenagentur Reuters: "Der Reifen fing Feuer und wurde auf uns geschleudert", erzählt sie. Ihr Mann sei in Richtung der Minen geschleudert worden: "Er ist jetzt in einem kritischen Zustand. Meine Tochter und mein älterer Sohn sind unverletzt, aber der mittlere Sohn wurde reanimiert. Ihm geht es jetzt besser."
Minenunfall bei Bahnmitarbeiter
Kein Einzelfall in der Region Cherson im Süden der Ukraine. Nur wenige Tage nach der Rückeroberung durch die ukrainische Armee verlor ein Bahnmitarbeiter in der Region seine Beine. Er war mit Kollegen gerade dabei, die Bahngleise zu reparieren, als er auf eine Mine trat.
Die Ukraine sei das am stärksten mit Minen verseuchte Land der Welt, sagt die stellvertretende ukrainische Innenministerin Meri Akopjan der Nachrichtenagentur Reuters:
Wir wissen, dass die Minenräumung im ganzen Land mindestens fünf bis sieben Jahre dauern wird. Es ist das eine, die Gebiete zu überprüfen und die Flächen zu säubern. Das wird jetzt sofort gemacht, um Leben zu retten. Aber eine andere Sache ist es, das gesamte Gebiet der Region zu überprüfen.
"Ich suche nach etwas Sichtbarem"
200.000 Quadratkilometer müssen in der Ukraine noch auf Minen untersucht werden - eine Zahl, die sich nur auf das seit Februar zurückeroberte Territorium bezieht. Hunderttausende weitere Quadratkilometer sind noch immer von Russland besetzt.
In der Region Cherson ist die Minenräumungseinheit von Ruslan Anikalow im Einsatz, wie Aufnahmen der Nachrichtenagentur AFP zeigen. Die Männer tragen schusssichere Westen und Helme. Vorsichtig bewegen sie sich über das Feld. "Ich gehe sehr langsam und vorsichtig. Schaue nach vorne, einen Meter nach links, einen Meter nach vorne, einen Meter nach rechts", beschreibt er seine Arbeit. "Ich suche nach etwas Sichtbarem. Und dann suche ich mit dem Metalldetektor nach Minen."
Die meisten Opfer sind Zivilisten
Mindestens sieben verschiedene Arten von international geächteten Landminen setzt Russland in der Ukraine ein. Das zeigt ein Bericht der internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen. Russland gehört zu den 32 Staaten weltweit, die die sogenannte Ottawa-Konvention, einen Minen-Verbotsvertrag, nicht unterschrieben haben. Der Einsatz von Antipersonenminen ist dennoch ein Tabubruch: Meistens sind die Opfer Zivilisten.
Bei seiner Arbeit findet auch Minenräumer Anikalow etliche unterschiedliche Arten von Sprengkörpern:
Alles, was es in der Sowjetunion gab, und moderne Minen: Antipersonenminen, Panzerminen, Raketen, Streubomben, insgesamt viele Antipersonenminen und Anti-Panzer-Minen, aber auch viele Sprengfallen.
Bis zu 200 Menschen könnten mittlerweile durch Minen getötet worden sein, schätzt die stellvertretende ukrainische Innenministerin. Etliche von ihnen sind Mitarbeiter der Minenräumung.