Nach Bootsunglück vor Italien Trauer, Wut und die Frage nach der Schuld
Nach dem Bootsunglück vor der italienischen Küste ist die Zahl der Toten auf 67 gestiegen. Angehörige kamen aus vielen Orten Europas in das Küstendorf Cutro, um die Opfer zu betrauern. Inzwischen entbrannte eine Debatte um den Rettungseinsatz.
Nach dem Bootsunglück vor der süditalienischen Küste haben Angehörige in der Stadt Crotone um die Opfer der Tragödie getrauert. Gemeinsam mit den Bürgermeistern der umliegenden Ortschaften, dem örtlichen Bischof und einem Imam nahmen die Familien der Verunglückten Abschied. In einer Turnhalle wurden die Leichen in Holzsärgen aufgereiht - mit der Entdeckung von drei weiteren Ertrunkenen stieg die Zahl der bestätigten Todesopfer auf 67.
Das Fischerboot, voll besetzt mit Migrantinnen und Migranten, war am frühen Sonntagmorgen vor der Küste von Crotone bei heftigem Seegang vermutlich gegen einen Felsen geprallt und auseinandergebrochen. Die Menschen an Bord stürzten ins Wasser, viele von ihnen ertranken in den hohen Wellen. Unter den Opfern sind auch etliche Kinder.
Trauer um die Verstorbenen
Die Särge - braune für Erwachsene und weiße für Kinder - waren in Reihen auf dem Holzboden der Sportanlage in Crotone aufgestellt. Auf jedem Sarg lag ein Blumenstrauß, Menschen legten Spielzeug auf Särge der Kinder. Angehörige berichteten, einige der Bootsinsassen hätten Verwandte in Europa angerufen und aufgeregt berichtet, dass sie das italienische Festland schon sehen könnten.
80 Menschen überlebten das Unglück. Wie viele Menschen sich insgesamt an Bord befanden, ist immer noch unklar. Zu Beginn nannten italienische Medien die Zahl 250, die Behörden gehen mittlerweile aber von 150 bis 180 Flüchtenden aus, die einige Tage zuvor von der türkischen Stadt Izmir ihre Reise gestartet hatten. Sie hatten Schlepper für die Überfahrt bezahlt.
Die Migranten sollen nach Informationen der italienischen Nachrichtenagentur Adnkronos vor allem aus dem Iran, aus Pakistan und Afghanistan stammen. Als Angehörigen der Passagiere von dem Unglück hörten, fuhren viele von Deutschland, Norditalien und anderen Orten in Europa in das Küstendorf Cutro, wo am Strand einige der Überlebenden an Land gegangen und viele Leichen angeschwemmt worden waren.
Reihen von Särgen sind in der Turnhalle in Crotone aufgestellt. Vor den weißen Kindersärgen legten Angehörige Spielzeug ab.
Debatte um Rettungseinsatz entbrannt
Unterdessen debattiert Italien darüber, ob und wie den Menschen hätte geholfen werden können, bevor das Boot kurz vor Erreichen des Festlandes unterging. "Niemand wollte sie retten", titelte die römische Tageszeitung "La Repubblica".
Nach einer Rekonstruktion der Ereignisse sichtete ein Flugzeug der europäischen Grenzschutzagentur Frontex das Boot bereits am Samstagabend rund 40 Seemeilen vor der Küste. Dies wurde auch nach Rom gemeldet. Es wurden zwei Schiffe zur Suche geschickt; diese aber fanden das Boot nicht. Erst am frühen Morgen ging ein Notruf von dem Boot ein, woraufhin Carabinieri und Küstenwache ausrückten.
Das Holzboot war schon gesunken, als die Helfer ankamen. Experten kritisieren, dass nicht schon in der Nacht Schiffe auf die Suche gingen. Für Empörung sorgte zudem der Innenminister der italienischen Rechts-Regierung, Matteo Piantedosi. Er sagte nach dem Unglück, die Verzweiflung von Eltern könne gar nicht so groß sein, um die eigenen Kinder in ein derartiges Boot zu setzen. Die Opposition warf ihm daraufhin vor, den Opfern auch noch die Schuld zuzuschieben.
Piantedosi hatte zuletzt scharfe neue Regeln gegen zivile Hilfsorganisationen verfügt, die auf dem Mittelmeer unterwegs sind.
Meloni fordert EU zu stärkerem Handeln auf
Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni forderte die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf, mehr zu tun, um illegale Einwanderung zu stoppen. So ließen sich weitere Tragödien auf See verhindern, betonte sie in einem Schreiben.
"Es ist grundlegend dringlich, sofort konkrete, starke und innovative Maßnahmen zu ergreifen, um illegalen Ausreisen entgegenzuwirken", so Meloni. Es müsse enger mit Herkunftsländern zusammengearbeitet werden. Dies solle auch durch Sonderzahlungen geschehen, drängte Meloni, um eine aktive Kooperation der Staaten herbeizuführen.