Europäische Reaktionen auf Asylkompromiss "Meilenstein" oder "menschenfeindlich"?
Während die EU-Kommission und Italien den Asylkompromiss begrüßen, stoßen die Pläne in Ungarn und Polen auf Widerstand. Scharfe Kritik kommt auch von Hilfsorganisationen - sie sprechen von einem "menschenrechtlichen Tabubruch".
Der Asylkompromiss der EU-Innenminister stößt in Europa auf Kritik, aber auch auf Lob. Besonders die Regierungen in Polen und Ungarn lehnen den geplanten Solidaritätsmechanismus zur verpflichtenden Aufnahme von Flüchtlingen ab. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki kündigte Widerstand dagegen an. "Solange es die PiS-Regierung geben wird, werden wir nicht zulassen, dass uns irgendwelche Migrationsquoten, Quoten für Flüchtlinge aus Afrika, aus dem Nahen Osten, für Araber, Muslime oder wen auch immer auferlegt werden", sagte er.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban bezeichnete den EU-Kompromiss als "inakzeptabel". Brüssel missbrauche damit seine Macht, erklärte er auf Facebook. "Sie wollen die Migranten mit Gewalt nach Ungarn verlegen. Das ist inakzeptabel, sie wollen Ungarn gewaltsam in ein Migrantenland verwandeln."
Italien: "Ein wichtiger Tag"
Die italienische Regierung zeigte sich hingegen zufrieden. Italien sei es bei dem Treffen der EU-Innenminister gelungen, seine Position zu halten sowie einen "Konsens zu allen seinen Vorschlägen" zu erzielen, sagte der italienische Innenminister Matteo Piantedosi der Zeitung "Corriere della Sera". "Wir sind zufrieden. Es ist ein wichtiger Tag, und es ist ein Anfang."
Italien habe insbesondere abwenden können, dass Ersteinreiseländer dafür bezahlt werden, irreguläre Migranten auf ihrem Territorium zu behalten, sagte er. Das habe Italien nicht akzeptiert, weil es als "Gründungsmitglied der Union seine Würde" habe. Die Regierung befürworte deswegen den Mechanismus der Entschädigungszahlungen. "Italien wird nicht das Auffanglager Europas sein."
"Menschenfeindliche Reform"
Menschenrechts- und Hilfsorganisationen kritisierten die EU-Pläne scharf. Das Bündnis Seebrücke sprach von einer "menschenfeindlichen Reform des europäischen Asylsystems". Es handele sich um die "schärfsten Asylreformen seit Jahrzehnten".
Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus N. Beeko, kritisierte, die Verschärfungen seien ein Freibrief für Menschenrechtsverletzungen. Es sei eine Einigung auf Kosten der Menschenrechte und der Menschen, die weltweit am meisten Schutz benötigten. "Amnesty International ist fassungslos, wie die Bundesregierung die gestrige Einigung als 'politischen Durchbruch' feiern kann." Es sei "kein Durchbruch, sondern ein menschenrechtlicher Tabubruch, eine Missachtung des verfassungsmäßigen Auftrags und ein gebrochenes Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages", so Beeko.
Der Leiter der Europaabteilung von Pro Asyl, Karl Kopp, sprach beim Redaktionsnetzwerk Deutschland von einem historischen Fehler: "Die Ampel nimmt in Kauf, dass Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ausverkauft werden." Sie habe keine rote Linie durchgesetzt und alles akzeptiert. Damit habe man "einen Frontalangriff auf den Rechtsstaat und das Flüchtlingsrecht gestartet", so die Organisation.
Auch aus Sicht der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Deutschland wird die Reform katastrophale Folgen für schutzbedürftige Menschen haben. "Wir sind entsetzt über die Zustimmung der Bundesregierung", sagte die stellvertretende Vorsitzende Parnian Parvanta. "Das Leid von Menschen auf der Flucht wird sich durch die Einigung in Luxemburg weiter verschärfen."
Lob von EVP-Chef Weber
Die Innenminister und -ministerinnen hatten am Donnerstagabend nach schwierigen Verhandlungen in Luxemburg mehrheitlich einem Kompromiss zur Beendigung des jahrelangen Asylstreits zugestimmt. Die Reform sieht eine Verschärfung des Asylrechts und erstmals Verfahren an den EU-Außengrenzen vor, aber auch eine Verteilung von Migranten auf die EU-Staaten. Länder, die sich weigern, Migranten aufzunehmen, sollen ein Zwangsgeld für jeden Migranten in einen von Brüssel verwalteten Fonds einzahlen.
Auch der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, lobte den Asylkompromiss. "Wenn es uns gelingt, eine europäische Rechtslage zu schaffen, die wirklich funktioniert, dann werden die Zahlen (der Flüchtlinge) deutlich zurückgehen", sagte er dem BR. Für jeden, der versuche, illegal nach Europa zu kommen, sei künftig "an der Außengrenze Schluss". Es seien aber nicht alle Probleme gelöst. Nötig seien auch Lösungen mit den Nachbarländern. "Wir brauchen jetzt für diesen Sommer ein Abkommen mit Tunesien, damit wir die Zahlen in den Griff kriegen", so Weber. Das Grundprinzip "Wir wollen helfen" stehe außer Frage. Weber forderte, zwischen wirklich Verfolgten und Menschen ohne Bleibegrund zu unterscheiden.
Von der Leyen spricht von "Meilenstein"
Bereits kurz nach der Einigung hatte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter zu Wort gemeldet. Sie gratulierte der Innenkommissarin Ylva Johansson und der schwedischen Ratspräsidentschaft zu einem "großen Meilenstein".
Auch der Europaabgeordnete Jan-Christof Oetjen von der FDP zeigte sich zufrieden: "Deutschland hat sich beim Migrationsgipfel flexibel gezeigt und das hat endlich ermöglicht, dass wir endlich eine Haltung zum Asyl- und Migrationspakt haben." Die Bundesregierung wollte eigentlich Familien mit Kindern von den geplanten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen ausnehmen, die FDP sah durch diese Forderung jedoch eine Einigung in Gefahr. Lediglich in einer Protokollnotiz wird nun festgehalten, dass sie sich weiter für diese Ausnahme einsetzen will.
Kritik von Grünen und Linken in Brüssel
Wie in Deutschland kam auch in Brüssel scharfe Kritik von den Grünen. Es sei beschämend, dass Innenministerin Nancy Faeser mit Zustimmung der Ampel-Koalition diesem Vorschlag zugestimmt habe, sagte der Sprecher der deutschen Grünen, Rasmus Andresen. Sein Parteikollege Eric Marquardt sprach von populistischen Scheinlösungen. Martin Schirdewan von den Linken kritisiert den Kompromiss ebenso deutlich - das Asylrecht werde bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlt, sagte er:
Mit den Grenzverfahren werden auch Kinder zukünftig in gefängnisartigen Lagern untergebracht werden. Anstatt nie wieder Moria heißt es jetzt plötzlich auch bei den Grünen - viele Morias. Und die Krokodilstränen der Grünen, aber auch der SPD, dieses abgekartete Spiel, ist einfach nur heuchlerisch.
Die Bundesregierung habe lange Zeit einen Sonderweg in Europa eingeschlagen und Deutschland damit isoliert, sagte die migrationspolitische Sprecherin der CDU/CSU im Europaparlament, Lena Dupont. Dennoch begrüßte sie, dass die Mitgliedstaaten sich auf eine Position einigen konnten: "Wenn man sich die Geschichte der bisher ja fehlenden europäischen Asyl- und Migrationspolitik anschaut - die letzten Jahre, Jahrzehnte ja fast schon der Diskussion - und vor allen Dingen auch die veränderte Ausgangslage in den letzten zwei drei Jahren betrachtet, ist es ein wichtiger Schritt vorwärts."
Der nächste Schritt sind nun die Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und dem Europaparlament. Diese müssen sich erst noch einigen, bevor die Reform der Asylpolitik endgültig steht. Auf die Gespräche setzen vor allem die Kritiker des gestrigen Beschlusses, die Änderungen erwarten.
Mit Informationen von Astrid Corall, ARD-Studio Brüssel