Postengeschacher beim EU-Gipfel in Brüssel Kaum noch Chancen für Blair
Der britische Ex-Premier Blair ist offenbar für das Amt des EU-Ratspräsidenten aus dem Rennen. Es zeichnet sich ab, dass der Chefsessel an die Konservativen fällt. Streit gab es am ersten Tag des EU-Gipfels um die Klimapolitik. Dagegen einigte man sich mit Tschechien über eine Ausnahmeklausel für den EU-Vertrag.
Im Poker um das Amt des ersten ständigen EU-Ratspräsidenten ist der frühere britische Premierminister Tony Blair offenbar aus dem Spiel. Das zeichnete sich am Rande des EU-Gipfels der 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel ab.
Sozialisten wollen lieber den "Außenminister"-Posten
Blair hatte sich Hoffnungen auf das Amt gemacht und Unterstützung aus Italien, Frankreich und seinem eigenen Land erhalten. Führende Sozialisten und Sozialdemokraten erteilten Blair dagegen eine indirekte Absage. Die Sozialistische Partei Europas (SPE) wolle lieber um den Posten des EU-Außenbeauftragten kämpfen, sagte der spanische Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero. Da die Sozialisten nach ihrer Niederlage bei der Europawahl nur einen der beiden Posten beanspruchen können, dürfte das Amt des Präsidenten damit an einen Konservativen gehen.
Wer wird "Chef der Chefs"?
Im Gespräch für den Posten des EU-Ratschefs sind noch der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker sowie Österreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel. Der Ratspräsident soll künftig als "Chef der Chefs" die Gipfeltreffen leiten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die erstmals von ihrem neuen Außenminister Guido Westerwelle bei einem Gipfel begleitet wurde, hielt sich zu den Personalspekulationen in der Öffentlichkeit zunächst bedeckt. Der Vorsitzende der Europäischen Sozialdemokratischen Partei, Poul Nyrup Rasmussen, sagte, eine Arbeitsgruppe werde in den kommenden zwei Wochen über eine Postenaufteilung mit den konservativen Regierungschefs verhandeln.
Gute Chancen auf den Chefsessel: der niederländische Regierungschef Balkenende
Letzte Hürde für Lissabon-Vertrag beseitigt
Beim Streit mit Tschechien über den Reformvertrag gab es in Brüssel eine Einigung. Die Staats- und Regierungschefs billigten der Prager Regierung nach deren Angaben eine Ausnahmeklausel für den EU-Reformvertrag zu. Der Gipfel kam so einer Forderung des tschechischen Staatschefs Vaclav Klaus entgegen, der bisher seine Unterschrift unter den Vertrag verweigerte. Damit ist eine letzte Hürde für das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon beseitigt worden.
Mit dem Zugeständnis garantiert die EU die von Klaus geforderte juristische Absicherung der umstrittenen Benes-Dekrete von 1945: Auf deren Grundlage waren Hunderttausende von Deutschen und Ungarn aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben worden. Die Formel sichert Tschechien nun zu, dass die im Lissabon-Vertrag enthaltene Grundrechtecharta keine Rechtsgrundlage für mögliche Klagen und Rückgabeforderungen Vertriebener bietet.
Streit um Klimapolitik droht zum Fiasko zu werden
Inhaltlich ging es am ersten Tag des EU-Treffens um die Vorbereitung des im Dezember in Kopenhagen stattfindenden Weltklimagipfels. Dabei gewann der Streit der EU-Mitglieder um seine Milliarden-Hilfen für die Entwicklungsländer an Schärfe. In der Frage der Lastenteilung zeigten sich tiefe Risse zwischen ost- und westeuropäischen Mitgliedstaaten.
Gut zehn mittel- und osteuropäische Länder beharrten auf einer festen Zusage, dass sie weniger für Klimamaßnahmen beitragen müssen als die reicheren EU-Länder. Die ehemaligen kommunistischen Länder machen wirtschaftlichen Aufholbedarf sowie die krassen Folgen der Wirtschaftskrise auf ihre Staatskassen geltend. Sie wollen auch angerechnet wissen, dass wegen des Zusammenbruchs ihrer Schwerindustrien nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre Kohlendioxid (CO2)-Emissionen massiv zurückgingen.
Einigung auf Kosten ungewiss
Die internationale Staatengemeinschaft will sich im Dezember in Kopenhagen auf die Grundzüge eines Weltklimaabkommens einigen. Die EU-Kommission schätzt den zusätzlichen Finanzbedarf für die Dritte Welt global auf gut 100 Milliarden Euro im Jahr 2020. Bis zur Hälfte dessen soll aus öffentlichen Mitteln kommen, 15 Milliarden davon nach einem Vorschlag der EU-Kommission aus Europa. Die andere Hälfte soll die Industrie bestreiten.
Das Duo Merkel und Westerwelle gab heute sein Debüt auf europäischem Parkett.
Aus Delegationskreisen verlautete aber, dass eine Einigung der Verhandlungsteilnehmer noch nicht in Sicht ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte zwar, der Gipfel müsse die Bereitschaft verdeutlichen, "in Vorleistung zu gehen", damit "die armen Länder zum Klimaschutz finanziell in die Lage gesetzt werden". Nach Auffassung der Bundesregierung sollte sich die EU gut fünf Wochen vor Beginn der Weltklimakonferenz aber noch nicht auf eine konkrete Summe festlegen. Auch Frankreich lehnt nach dies nach Angaben von EU-Diplomaten ab.