Nach EU-Sondergipfel Bremst späterer Brexit Weber aus?
Zurückhaltung verlangen die EU-Chefs von den Briten im Falle eines späteren Brexits. Doch im Europaparlament kann das niemand garantieren - und das könnte für einen deutschen Politiker Folgen haben.
Die Einheit der EU steht, Brexit-Gezerre und weitere Verschiebung hin oder her. Sagen jedenfalls Europas Staats- und Regierungschefs. Im Europäischen Parlament sehen einige das ganz anders. Für Daniel Caspary, CDU-Europaabgeordneter aus Deutschland, und viele andere ist offensichtlich, dass bei den Wahlen zum Europaparlament Ende Mai die Briten nun wohl doch mitwählen werden und dann auch wieder eine nennenswerte Zahl von Abgeordneten nach Straßburg und Brüssel schicken.
Allerdings nur auf Abruf, denn nach vollzogenem Brexit müssen sie wieder weg, Aus Großbritannien dürfe aber keine Rechtsunsicherheit in die Europäische Union importiert werden, sagt Caspary. Deswegen erwarteten die Abgeordneten, dass die Bedingung des Europäischen Rates für eine neue Fristverlängerung auch für das Europaparlament gelte: "dass sich die Briten aus maßgeblichen Entscheidungen heraushalten".
Wichtige Entscheidungen stehen bald an
Eine ganz maßgebliche Entscheidung ist die Wahl der künftigen Spitze der EU-Kommission. Wer dort quasi im wichtigsten Amt der europäischen Institutionen Präsidentin oder Präsident werden soll, braucht dafür eine Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament.
Weil die Briten dort mit ihren Abgeordneten über einen Anteil von fast zehn Prozent aller Sitze verfügen, haben sie auch entscheidenden Einfluss - den sie allerdings nicht ausüben dürften, verlangt Caspary. Er wünsche sich, dass sich die Briten auch bei der Wahl eines neuen Kommissionspräsidenten neutral verhalten.
Der EU-Gegner Nigel Farage will im Falle einer längeren Frist für den Brexit wieder für das Europaparlament kandidieren - Zurückhaltung ist dort von ihm kaum zu erwarten.
Bedingungen und Leerstellen
Eine solche Zusage zur Neutralität haben sich Europas Staats- und Regierungschefs von der britischen Premierministerin Theresa May geben lassen, wenn es im Ministerrat um künftige große europäische Projekte geht, den EU-Haushalt für die kommenden Jahre etwa, die künftige Agrarpolitik, die Frage der Besetzung von Spitzenposten.
Welche Folgen allerdings die Brexit-Verschiebung für das Europaparlament hat, war ihnen offenbar nicht ganz so wichtig. Eine Neutralität könne man von frei gewählten Abgeordneten in einem Parlament gar nicht verlangen, schon gar nicht rechtlich, sagt der SPD-Europaparlamentarier Udo Bullmann.
Er erinnert daran, dass es ein "Bürgerrecht" auch der britischen Bürgerinnen und Bürger sei, an Wahlen teilzunehmen, solange ihr Land nicht ausgetreten ist. Deshalb hätten britische Abgeordnete natürlich ein Stimmrecht im EU-Parlament, jedenfalls solange wie der Brexit nicht vollzogen sei.
Profitieren die Sozialdemokraten
Aus Sicht der europäischen Sozialdemokraten wäre das erfreulich. Denn derzeit prognostizieren Meinungsumfragen in Großbritannien der Labour Party bei einer Teilnahme an der Wahl zum Europäischen Parlament deutliche Gewinne. Und Labour gehört dort zur sozialdemokratischen Fraktion.
Weniger erfreulich wäre es für die Christdemokraten und vor allem für den deutschen Christsozialen Manfred Weber. Bisher konnte er davon ausgehen, dass seine große EVP-Fraktion, für die er der europäische Spitzenkandidat ist, ihn auch zum neuen EU-Kommissionspräsidenten wählen wird. Wenn Großbritannien mitwählt, wackelt diese Aussicht.
Webers Befürchtungen
Er könne niemandem erklären, sagt Weber deshalb, wie es sein könne, dass ein Land maßgeblichen Einfluss auf Europa nehme, das aus der EU austreten wolle. Weber nennt den Brexit eine "Tragödie", die zeige, welchen Schaden Europa nehmen könne. Der Christsoziale weist darauf hin, dass schon jetzt im Europäischen Parlament ein Drittel aller Abgeordneten Populisten oder Nationalisten sind. Es könne passieren, dass sie noch mehr und stärker werden.
So argumentiert auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er wollte deshalb eigentlich keine Brexit-Verlängerung über die Europawahl hinaus, aber Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte sie. Was das für ihren - im weiteren Sinne - Parteifreund Weber aus Bayern heißt, spielte dabei für sie offenbar eine untergeordnete Rolle.
In Brüssel sagen ohnehin viele, Merkel wolle Weber gar nicht als EU-Kommissionspräsidenten. Sie würde viel lieber einen anderen Deutschen an der Spitze einer anderen europäischen Institution sehen - nämlich Bundesbankpräsident Jens Weidmann an der Spitze der Europäischen Zentralbank. Möglich, dass es so kommt - es könnte ein von ihr erwünschter Nebeneffekt der Brexit-Verlängerung sein.