EU-Asylpolitik Die einsame Mahnerin
Kurz vor dem EU-Sondergipfel wird klar: Kanzlerin Merkel ist fast die Einzige, die in der Asylpolitik noch eine gemeinsame Lösung anmahnt. Immer mehr Regierungen setzen auf Stimmungsmache.
Es werden entscheidende, vielleicht sogar dramatische Stunden für Angela Merkel. Der Druck ist groß, eine demonstrative Kehrtwende herbeizuführen. Dieser Druck kommt nicht nur von der CSU. Selbst Länder, die jahrelang fest an Merkels Seite standen, die ebenfalls strikt auf eine Willkommenskultur setzten, wandten sich längst ab - Schweden zum Beispiel oder auch die Niederlande.
Selbst Liberale wie Belgiens Premier Charles Michel sprechen als Problemlösung inzwischen fast nur noch von Lagern, die man jenseits der EU, beispielsweise in Nordafrika einrichten müsse: "Es geht um eine klare Botschaft an die Menschen in Afrika. An jene, die heute noch zu oft Opfer der Menschenschmuggler werden. Wir wollen das Geschäftsmodell dieser Schmuggler brechen, und zwar durch eine strikte Kontrolle der Außengrenzen."
Kein Land außerhalb der EU will Aufnahmezentren
Zwar findet sich bislang kein Land, das da mitmachen, das für Europa die Flüchtlinge verwalten will, aber egal. Es ist vielmehr die Stunde derjenigen, die auf Stimmungen setzen, die sich als Vertreter des Volkswillens inszenieren und den Eindruck erwecken, man könne zügig Schluss machen, mit "dieser Migration".
Österreichs freiheitlicher Innenminister Herbert Kickl beispielsweise strahlt regelrecht, wenn er seine Strategie der nächsten Tage und Wochen ausbreitet: "Wir wollen den Begriff der Solidarität uminterpretieren, den die Europäische Kommission gerne für sich in Anspruch nimmt und glaubt, ihn alleine interpretieren zu können. Solidarität heißt für uns: Solidarität mit der Bevölkerung."
Merkel immer öfter allein
Auf der anderen Seite gibt es immer weniger Regierungschefs, die sich schützend vor die deutsche Kanzlerin stellen. Da ist im Wesentlichen nur noch Luxemburg, selbst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron springt ihr nur bei, wenn er im Gegenzug eigene Interesse durchsetzen kann.
Und so mahnt Angela Merkel immer öfter allein: "Wie man es dreht und wendet: Migration ist eine europäische Herausforderung, vielleicht sogar unsere größte Herausforderung. Es geht um den Zusammenhalt dieser Europäischen Union."
Der Druck auf Merkel wächst nicht nur in Berlin.
Gegenwehr gegen Vorhaben der CSU
Im Süden Europas werden die Töne inzwischen auch immer deutlicher. Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini beispielsweise macht ganz klar, dass er die Flüchtlinge in jedem Fall loswerden will. Italien sei überlastet.
Nicht anders ist die Lage in Griechenland. Hier ist man nur im Ton gemäßigter, dafür aber vor allem enttäuscht: "Es kommen mehr Flüchtlinge zu uns, als das Land verlassen. Das kommt vor allem durch das Verhalten vieler EU-Staaten, die so tun, als ob sie das alles nichts angehen würde", schüttelt Griechenlands Vizemigrationsminister Ioannis Balafas demonstrativ den Kopf.
Warum sich sein Land sich beispielsweise darauf einlassen sollte, aus Deutschland zurückgeschickte Flüchtlinge aufzunehmen, ohne dafür im Gegenzug Geld zu bekommen, was ja die CSU ausschließt, scheint vielen ein Rätsel.
Ein Gipfel, um Zeit zu kaufen
Die Kanzlerin baut deshalb bereits vor: Sie erwarte keine Entscheidungen von diesem Sondertreffen. Sie wolle nur sondieren, was möglich ist, lässt sie wissen. "Machen wir uns doch nichts vor", sagen deshalb Beobachter wie der Politikwissenschaftler Mathieu Segers von der Universität Maastricht:
Drin wird sein der Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk und anderen, Lager außerhalb der EU zu schaffen. Das ist für die Hardliner. Auf der anderen Seite muss der Anspruch von Merkel und Macron untergebracht werden, dass man die Lasten in der Asylpolitik weiterhin gemeinsam schultert. Jede Seite wird also bedient werden. Man versucht dadurch Zeit zu kaufen. Fraglich ist nur, ob das für Merkel noch einmal reicht in ihrer Auseinandersetzung mit Horst Seehofer.
Bereits zwei Tage nach dem Gipfel, am kommenden Dienstag, tagt in Berlin der schwarz-rote Koalitionsausschuss.