Interview

US-Hilfe gegen Ebola "Genau die richtige Entscheidung"

Stand: 16.09.2014 18:53 Uhr

US-Präsident Obama schickt 3000 Helfer in den Kampf gegen Ebola. Maximilian Gertler, der im Juli für "Ärzte ohne Grenzen" im Ebola-Gebiet war, sagt im Interview mit tagesschau.de, dass er auch von der deutschen Bundesregierung konkrete Hilfen erwartet.

tagesschau.de: Können die von Barack Obama angekündigten 3000 Helfer im Kampf gegen Ebola tatsächlich etwas ausrichten?

Maximilian Gertler: Grundsätzlich ist das genau die richtige Richtung und darum für mich die positive Nachricht des Tages. In der Ankündigung ist die Rede von 17 Behandlungszentren, die von den 3000 Helfern aufgebaut werden sollen. Wer genau wo arbeiten wird, ist sicherlich noch zu klären, aber die Dimensionen stimmen auf jeden Fall.

Wir brauchen vor Ort dringend mehr Behandlungszentren und Partner, die konkrete Hilfe leisten und nicht nur Ankündigungen machen. Natürlich haben wir als Ärzte ohne Grenzen nie ein gutes Gefühl dabei, wenn das Militär in einer humanitären Krise eingreift, aber die zivilen Organe haben in diesem Fall so lange gezögert, dass diese Hilfe nötig ist.

Zur Person

Maximilian Gertler ist Arzt. Im Juli war er für "Ärzte ohne Grenzen" im Ebola-Gebiet in Guinea. Seit 2009 gehört er zum Vorstand von "Ärzte ohne Grenzen" Deutschland.

tagesschau.de: Besteht in diesem Stadium überhaupt noch die realistische Chance, die Ebola-Epidemie zu stoppen?

Gertler: Ich denke, dass es überhaupt keine Alternative dazu gibt, genau das zu versuchen. Es ist völlig unrealistisch, zu hoffen, dass eine Epidemie eines solchen Ausmaßes von alleine aufhört.

Auch jetzt gerade klopfen wieder Leute in den Ebola-Gebieten an unsere Türen und finden keine Aufnahme, weil unsere Behandlungszentren völlig überfüllt sind. Diese Menschen kehren heim, mit ihrer Erkrankung oder mit ihrem toten Angehörigen, den sie bei uns abgeben wollten, und werden weitere Menschen infizieren. Darum sollten auch andere Staaten ihre politische und humanitäre Verantwortung ernst nehmen und Maßnahmen ergreifen.

tagesschau.de: Was brauchen die Menschen in den Ebola-Gebieten jetzt am dringendsten?

Gertler: Es werden dringend zusätzliche Behandlungszentren aus Zelten, Zäunen und Betten benötigt, wo die Kranken und Sterbenden aufgenommen werden können, ohne dass sie weitere Menschen infizieren. Und es werden Beerdigungsteams gebraucht, die die Toten bestatten, die hochgradig infektiös sind. Ich war selbst dort und habe gesehen, dass man mit einfachen Maßnahmen viel erreichen und sich auch selber sehr gut schützen kann.

Militäreinsatz als absolute Ausnahme

tagesschau.de: Wie könnte Ihrer Meinung nach die deutsche Bundesregierung möglichst effektiv helfen?

Gertler: Es gibt jetzt die Hilfsankündigung aus den USA, es gibt eine Hilfsankündigung aus Kuba. Ich kann nicht verstehen, warum unsere Bundesregierung es nicht schafft, eine vergleichbare Intervention im Ebola-Gebiet zu unterstützen.

Wir erwarten keine hochtechnisierten Isolierstationen mit Unterdruck- und Beatmungssystemen, wie wir das aus Zentren hier in Deutschland kennen. Zentren auf Zeltgrundlage, die Unterkünfte für die Erkrankten schaffen und durch Zäune Isolierung bieten, sind völlig ausreichend. Eine absolute Basismedizin also, die die Bevölkerung im Umfeld und natürlich auch das dort arbeitende Personal effektiv schützt.

Das Dringendste sind also Menschen und Material, um solche Behandlungszentren aufzubauen. Und wir sehen jetzt seit Monaten, dass das mit zivilem Katastrophenschutz und den Hilfsorganisationen nicht funktioniert. Also muss man darüber nachdenken, als eine absolute Ausnahme in dieser Situation, wie die USA auch, militärische Einheiten nach Westafrika zu schicken - am Besten international koordiniert.

tagesschau.de: Die Bundesregierung hat bis jetzt 2,7 Millionen Euro für den Kampf gegen Ebola zur Verfügung gestellt und weitere neun Millionen zugesichert. Ist das aus Ihrer Sicht der Lage angemessen?

Gertler: Diese Interventionen sind wahnsinnig teuer. Die USA rechnen mit 250 bis 500 Millionen Dollar für ihr Engagement. Da scheinen 2,7 Millionen Euro natürlich bei Weitem nicht auszureichen. "Ärzte ohne Grenzen" plant mit 39 Millionen Euro, die der Ebola-Einsatz insgesamt kosten wird, wenn die Zahl der Erkrankung bald irgendwann sinkt.

Aber viel wichtiger als Geld ist, dass die Hilfe, die jetzt kommt, direkt vor Ort passiert. Den Kampf gegen Ebola kann man allein mit Geld und Ankündigungen nicht gewinnen. Wenn ich mir - mit den Bildern aus dem Juli vor Augen - anschaue, was unsere Bundesregierung, als Regierung eines 80-Millionen-Landes, bis jetzt unternommen hat, dann bin ich doch sehr enttäuscht.

Staatlichkeit in Gefahr

tagesschau.de: Am Donnerstag tagt der UN-Sicherheitsrat zum Thema Ebola. Eigentlich ist das Gremium nur für Frieden und Sicherheit zuständig. Schätzen Sie die Sondersitzung eher als einen symbolischen Akt ein oder erwarten Sie konkrete Hilfen?

Gertler: Wenn es ein Symbol ist, dann ist es ein sehr starkes Symbol, dass der Sicherheitsrat sich mit einer akuten medizinischen Krise auf der Welt befasst und zeigt, dass man auf dieser Ebene offenbar erkannt hat, mit welch einer Katastrophe wir es zu tun haben.

Diese Epidemie kostet ja nicht nur Menschenleben. In den betroffenen Staaten ist das Gesundheitssystem teilweise zusammengebrochen. In Liberia gab es letzte Woche Äußerungen von einem hohen Minister, die darauf hindeuten, dass die Staatlichkeit des Landes in Gefahr ist.

Es gibt keinen Grund, sicher zu sein, dass die Epidemie, wenn sie so weiter geht wie jetzt gerade, nicht auch noch weitere Nachbarländer erreichen wird. Das Fenster wird sich irgendwann schließen, in dem man das noch aufhalten kann.

tagesschau.de: Sie waren im Juli selbst in Guinea. Wie fühlt es sich vor Ort an? Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen sich von der Weltgemeinschaft unterstützt fühlen?

Gertler: Ich kann nicht gut einschätzen, was die Menschen, die tatsächlich dort leben, über die Weltgemeinschaft denken. Aber ich erinnere mich sehr deutlich daran, dass ich abends mit meinen Kollegen in den Zentren zusammensaß. Wir haben uns beklommen dabei gefühlt, zu merken, dass da draußen etwas vor sich geht, was so viel größer ist als unsere Möglichkeiten und dass einfach kein anderer internationaler Akteur sonst kommt und etwas unternimmt. Das habe ich bei meinen vorherigen Einsätzen noch nie so empfunden.

Das Interview führte Katharina Knocke für tagesschau.de