Krise in der Ukraine So engagiert sich die NATO in Osteuropa
Die Destabilisierung der Ukraine hat in Osteuropa neue Ängste über das russische Vormachtstreben ausgelöst. Der Ruf nach einer Unterstützung der NATO für die osteuropäischen Staaten wird lauter. Die NATO-Kooperation mit Russland ist derzeit ausgesetzt. Doch wie ist die NATO in Osteuropa aufgestellt und welche Maßnahmen hat sie bereits ergriffen, um die östlichen Bündnispartner zu schützen?
1949 wurde die NATO von zwölf Staaten gegründet, die wesentliche sicherheits- und verteidigungspolitische Ziele gemeinsam verfolgen. Mittlerweile sind es 28 Mitgliedsstaaten: Seit 1999 gehören Tschechien, Ungarn und Polen dazu, vor zehn Jahren traten Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien bei. Seit April 2009 sind auch Albanien und Kroatien Bündnispartner. Damit haben ehemalige Mitglieder des Warschauer Paktes in der NATO eine neue Heimat gefunden, das westliche Militärbündnis ist nach Osten gerückt.
Um aus den ehemaligen Sowjet-Staaten NATO-Staaten zu machen, erhalten diese Länder Unterstützung. Ihre Armeen müssen an die Standards der Bündnispartner angepasst werden. In gemeinsamen Manövern üben die Einsatzkräfte zusammen.
Nach ihrer Unabhängigkeit mussten die baltischen Staaten ihre Streitkräfte komplett neu aufbauen. Dementsprechend beschränkt sind ihre Bewaffnung und Ausrüstung. Litauen, Lettland und Estland haben selbst keine ausreichenden Luftstreitkräfte. Hier hilft die NATO aus: Das Bündnis übernimmt für diese Länder das sogenannte "Air Policing". Bei dieser Luftraumüberwachung wechseln sich die verschiedenen Bündnispartner regelmäßig ab. Abfangjäger und Personal sind dafür im Baltikum jeweils zeitweise stationiert.
Veränderungen durch die Ukraine-Krise
Im Zuge der Ukraine-Krise verstärkte die NATO ihre Präsenz in Osteuropa. Seit dem 1. September unterstützt die Bundeswehr mit sechs Kampfjets die Luftraumüberwachung über dem Baltikum. Vier Kampfflugzeuge des Typs Eurofighter wurden dazu mit 170 Soldaten als Besatzung und Wartungspersonal vorübergehend auf den Luftwaffenstützpunkt Ämari nach Estland verlegt. Zwei weitere Jets bleiben in Deutschland in Bereitschaft. Neben Deutschland nehmen bis Ende des Jahres Portugal, Kanada und die Niederlande an dem Einsatz teil.
Die NATO hat ihre Präsenz in Osteuropa auch an anderer Stelle verstärkt. Deutschland beteiligt sich an einem Marine-Manöver in der Ostsee, fliegt Aufklärungsflüge über Polen, Rumänien und über der Ostsee. Zudem ist Deutschland am Multinationalen Korps Nordost im polnischen Stettin beteiligt, dessen Einsatzbereitschaft verstärkt werden soll. Derzeit gehören zu dem Korps 180 Soldaten - 60 deutsche und 120 aus Polen und Dänemark. Das Korps soll in die Lage versetzt werden, Landoperationen und -übungen schneller zu planen. Die Zahl der Soldaten soll dafür erhöht werden.
Eine Milliarde US-Dollar
Einzelne Staaten unterstützen die östlichen Länder auch bilateral: US-Präsident Barack Obama kündigte Anfang Juni "ein starkes Signal des Engagements für die Sicherheit der Bündnispartner" an. Mit der "European Reassurance Initiative" stellen die USA eine Milliarde Dollar bereit, um "Alliierte und Partner der NATO" zu unterstützen. Geplant sei unter anderem eine stärkere Beteiligung der US-Marine an Einsätzen der NATO-Seestreitkräfte. Zudem haben die USA 600 Fallschirmjäger nach Litauen, Lettland, Polen und Estland geschickt. "Das ist vor allem ein Symbol an die Bündnispartner: Wir stehen für euch ein", sagt Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Partner, kein Familienmitglied
Die NATO bleibt attraktiv für Staaten in Osteuropa. Bosnien-Herzegowina, Georgien, Montenegro und Mazedonien streben derzeit eine Mitgliedschaft an. Für die NATO ist das allerdings problematisch: Wird ein Mitgliedsstaat der NATO angegriffen, dann gilt das als Angriff auf das gesamte Bündnis, so Artikel 5 des NATO-Statuts.
Die Ukraine ist kein Mitglied der NATO und auch kein Beitrittskandidat, auch wenn sich das Land an NATO-Missionen wie beispielsweise in Afghanistan beteiligt. Als Partnerland wird die Ukraine von der NATO bei der Modernisierung seiner Streitkräfte unterstützt. Seit mehreren Jahren gibt es in Kiew NATO-Büros. Das eine informiert die ukrainische Öffentlichkeit über das Bündnis, das andere berät Politik und Militär, unter anderem bei der Modernisierung von Kommandostrukturen.
Die Rolle Russlands
Während die westlichen NATO-Staaten seit dem Aufbrechen des Ostblocks 1989 das Bündnis zunehmend als Sicherheitsorganisation mit politischem Potenzial für eine enge Zusammenarbeit mit Russland sahen, verbanden die östlichen Neu-Mitglieder mit Russland Erinnerungen an Besatzung und Unterdrückung.
Mit diesem wohl wichtigsten globalen Akteur außerhalb des Bündnisses wurde 1997 die NATO-Russland-Grundakte ausgehandelt. Darin heißt es: Die NATO und Russland "werden gemeinsam im euro-atlantischen Raum einen dauerhaften und umfassenden Frieden auf der Grundlage der Prinzipien der Demokratie und der kooperativen Sicherheit schaffen." Das Dokument atmet quasi den Geist der Entspannung mit Russland - und verbietet die "permanente Stationierung substanzieller Kampftruppen" in Osteuropa und im Baltikum. Was das konkret heißt, wurde niemals festgelegt.
Aktionsplan gegen Russland
An diesen Geist jedoch hat man sich bis heute gehalten. Im strategischen Konzept der NATO 2010 wird Russland sogar als Partner definiert. "Die NATO bemühte sich stets um ein gutes Verhältnis zu Moskau", so Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die NATO will an dem Dokument festhalten", sagt die Wissenschaftlerin.
Der aktuellen Krise will die NATO mit einem "Readiness Action Plan" begegnen, der auf dem Gipfel in Wales beschlossen werden soll. Wird der Plan beschlossen, könnte die NATO zum ersten Mal Truppen in Osteuropa stationieren.