EU-Gipfel Finanzakrobatik in der Krise
Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, sollen beim EU-Gipfel milliardenschwere Hilfspakete geschnürt werden. Wo soll das Geld herkommen? Wer haftet dafür? Welche Rolle spielen Hebel?
Die Finanzierung der Folgen der Corona-Krise wird beim EU-Videogipfel heute das wichtigste Streitthema sein. Schon ohne Corona-Krise gab es bei den EU-Haushaltsverhandlungen Zoff, weil einige Mitgliedstaaten nicht mehr zahlen wollten. Italien, Spanien und andere kritisieren zudem mangelnde Solidarität. Sie sind schwer enttäuscht, weil Länder wie die Niederlande oder Deutschland keine gemeinsamen Corona-Bonds wollen.
Dennoch ist jedem klar, dass die Bewältigung der Corona-Krise richtig teuer wird. Bei den Rettungspaketen ist mal von 500 Milliarden Euro die Rede, mal von von einer Billion. Um solche Beträge zu stemmen, ohne dass jemand dafür wirklich Geld auf den Tisch legt oder übermäßig haftet, ist etwas Finanzakrobatik nötig.
Die Europäische Investitionsbank (EIB) zum Beispiel schnürt ein Paket über 200 Milliarden Euro. Dahinter verbergen sich zunächst nur 25 Milliarden Euro in Bürgschaften mit dem Namen "Europäischer Garantiefonds Covid-19". Ob dabei irgendwann tatsächlich eine Investitionssumme von 200 Milliarden Euro herauskommt, ist nichts anderes als ein frommer Wunsch.
Die Hebelwirkung des "Juncker-Fonds" als Vorbild
Allerdings hat die EIB Erfahrungswerte. Schon mehrfach hat sie in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission viel Geld "gehebelt", wie es dort heißt. Das Vorbild in der aktuellen Situation ist der sogenannte "Juncker-Fonds" von 2014. Mit 21 Milliarden Euro Garantiekapital hat man anfangs 350 Milliarden an Investitionen aktiviert, später wurde das Garantiekapital auf gut 32 Milliarden angehoben, um fast 500 Milliarden Euro zu aktivieren.
Und das funktioniert so: Die Kommission gibt zunächst Ausfallgarantien, die die EIB mit eigenem Geld ergänzt. Für diesen Betrag bürgen letztendlich die EU-Mitgliedstaaten über den EU-Haushalt und das Eigenkapital der EIB. Mit ihrem erstklassigen Rating begibt die EIB selbst Anleihen an den Kapitalmärkten - und bekommt extrem günstige Zinsen und mitunter sehr lange Laufzeiten. Dieses Geld kann die EIB nun selbst als Kredit vergeben. Hinzu kommen Kredite privater Geldgeber.
Aus gut 32 Milliarden Euro Garantie wird so eine Investitionssumme von 500 Milliarden. Die Wirkung des Hebels liegt also bei ungefähr 1:15. Weil Geschäftsbanken, Pensionsfonds und private Geldgeber aufgrund der schärferen Gesetzgebung in ihren Bilanzen unbedingt "sichere" Anlagen halten müssen, sind solche EIB-Anleihen mit eigentlich unattraktiver Rendite für sie dennoch interessant.
So soll der neue Fonds funktionieren
Der neue Garantiefonds soll ähnlich funktionieren. Allerdings ist der Hebel mit einer Wirkung von 1:8 vorsichtiger kalkuliert. Schließlich sind die Bedingungen in Corona-Zeiten beispiellos, niemand kann also wirklich sagen, ob das beschriebene Prinzip auch jetzt funktioniert. Beim Garantiefonds ist außerdem die EU-Kommission nicht beteiligt, es handelt sich ausschließlich um ein Instrument der EU-Mitgliedstaaten. Sie haften gemeinschaftlich für Ausfälle, aber natürlich nicht für die ganze Summe.
Nun will aber auch die in der Krise arg in den Hintergrund getretene EU-Kommission wieder politische Wirkungungsmacht entfalten und schlägt vor, den "Wiederaufbaufonds" in die Hand zu nehmen. Das wäre ein enormer Machtzuwachs, denn die EU-Kommission würde Bank-Funktionen übernehmen und Anleihen begeben. Das tut sie bereits bei SURE, dem ebenfalls zur Bekämpfung der Corona-Krise beschlossenen Programm für Arbeitslose. Der "Wiederaufbaufonds" käme noch hinzu.
EU-Kommission will auch "hebeln"
Finanzkommissar Valdis Dombrowskis spricht von 1,5 Billionen Euro. Der Wiederaufbaufonds soll ebenfalls auf dem Hebelprinzip basieren: Die Kommission besorgt sich also durch Anleihen Geld, "hebelt" dieses mit dem Geld privater Institute und setzt es zur Bekämpfung der Corona-Krise ein.
Das hätte für die Kommission zwei große Vorteile: Sie wäre erstens wieder ein wichtiger Akteur in der Corona-Krise und könnte mit dem Vorschlag zweitens beim EU-Gipfel dabei helfen, den Streit zwischen den Mitgliedsstaaten zu lösen. Neun EU-Mitglieder, vor allem Italien und Spanien, fordern unbedingt sogenannte Corona- oder Eurobonds in Billionenhöhe, für die alle Mitgliedsstaaten gemeinsam haften. Die Niederlande und Deutschland aber wollen das auf gar keinen Fall.
Da es in solchen Fragen Einstimmigkeit geben muss, dürften solche Bonds kaum eine Chance haben. Der Wiederaufbaufonds könnte helfen: Es hört sich ähnlich an, die Summe ist beeindruckend, Garantien und Haftung aber sind deutlich geringer.
Ein Fonds fürs Klima?
Die EU-Kommission verfolgt noch ein weiteres Ziel: Mit diesem Fonds könnte sie ihre Ziele im Hinblick auf den "Green Deal" weiter gestalten. Die Bekämpfung des Klimawandels wollen einige Länder angesichts der Corona-Krise nämlich schon wieder zurückstellen.
Am Ende aber bleibt eines klar: In allen Fällen handelt es sich für die vielen Unternehmen um Kredite, die sie zurückzahlen müssen. Das wird für die meisten ein ziemlich schwerer Rucksack, den sie lange mit sich herumtragen müssen.