Urteil gegen Chodorkowski erst Ende Dezember "Grundrechte der Angeklagten mit Füßen getreten"
Im Prozess um illegale Ölverkäufe muss der frühere Jukos-Chef Chodorkowski weiter auf den Urteilsspruch warten: Der für heute angesetzte Termin wurde auf den 27. Dezember verschoben. Gründe nannte das Gericht nicht. Kritiker sprechen von einem politisch motivierten Verfahren.
Von Christina Nagel, ARD-Hörfunkstudio Moskau
Fast zwei Jahre dauert der zweite Prozess gegen den ehemaligen Jukos-Chef Michail Chodorkowski und seinen Geschäftspartner Platon Lebedew nun schon. Über 80 Zeugen wurden gehört, mehr als 200 Ordner voller Akten angehäuft. Ein kurioses Justiztheater, an dessen Ende nach Ansicht der Prozessbeobachterin Marieluise Beck von den Grünen nur ein Urteil stehen dürfe: "Wenn ich davon ausgehe, dass Recht gesprochen wird, dann muss es einen Freispruch geben." Alle wüssten, dass der erste und der zweite Prozess in einem absoluten Widerspruch zueinander stünden, was den Tatvorwurf anlangt.
Chodorkowski und Lebedew wurde im ersten Prozess vorgeworfen, Millionen Tonnen Öl verkauft zu haben, ohne Steuern zu bezahlen. Im zweiten Prozess heißt es nun, sie hätten das gesamte zwischen 1998 und 2003 geförderte Öl veruntreut. Insgesamt rund 350 Millionen Tonnen Öl. Später revidierte die Staatsanwaltschaft die Zahl auf 218 Millionen.
"Staatsanwaltschaft macht sich lächerlich"
Der Prozess spreche jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn, erklärte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, der im September einen der letzten Verhandlungstage miterlebt hat: "Hier werden die Grundrechte der beiden Angeklagten mit Füßen getreten. Die Staatsanwaltschaft macht sich lächerlich, kann ihre Vorwürfe überhaupt nicht belegen."
Dabei gab es Zeugen, die durchaus etwas zu sagen hatten: Sberbank-Chef German Gref und der amtierende Industrie- und Handelsminister Viktor Christenko. Beide gelten als Putin-Vertraute. Beide befanden sich zurzeit des angeblichen Verbrechens in hohen Ämtern.
"Diebstahl von Millionen Tonnen Öl ist mir nicht bekannt"
Christenko war Vize-Premierminister und Vorsitzender des Direktorenrates von Transneft, also von dem Unternehmen, das die Erdöl-Pipelines in Russland betreibt. Vor Gericht erklärte er: "Dass Erdöl aus einem Pipeline-Netz geklaut wird, ist ein Problem, das es tatsächlich gab und leider noch immer gibt." Weiter führt er aus: "Wir kämpfen bis heute gegen illegales Abpumpen. Dass aber Millionen Tonnen Öl geklaut wurden, ist mir nicht bekannt."
Gref hatte zuvor auf dieselbe Frage kurz und knapp geantwortet: Wenn es einen solchen Diebstahl gegeben hätte, würde er dies wohl wissen. Gref war damals Vize-Chef der Behörde für Staatseigentum. Auch in Detailfragen führten die beiden, die sich nicht als Entlastungszeugen verstanden wissen wollten, viele Anklagepunkte ad absurdum. Trotzdem wurde der Prozess fortgesetzt.
Meint Russland es ernst mit der Rechtsstaatlichkeit?
Für westliche Beobachter geht es längst um mehr als nur um die Personen Chodorkowski und Lebedew. Die Frage sei auch, ob Russland es ernst meine mit Modernisierung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Was, fragte denn auch Chodorkowski bei seinem letzten Auftritt vor Gericht vor der Urteilsverkündung, solle ein Unternehmer denken, der den Prozess verfolge?
Ein denkender Mensch müsse zu einer Schlussfolgerung kommen, die in ihrer Einfachheit erschreckend ist: Die Bürokratie der Machtstrukturen kann und darf alles. Menschenrechte zählten nicht, wenn es zu einem Konflikt mit dem System kommt. "Selbst wenn das Recht im Gesetz verankert ist, wird es vom Gericht nicht geschützt. Denn das Gericht hat entweder selbst Angst oder ist Teil des Systems", erklärte er.
Chodorkowski wünschte dem Richter Mut bei der Urteilsfindung. Auch wenn der nicht Herr des Verfahrens ist.