Fünf Jahre "Charlie Hebdo" Wie der Terror Frankreich veränderte
Der Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" vor fünf Jahren und die darauf folgende Terrorserie traumatisieren Frankreich bis heute. Im Land tobe ein gefährlicher Kulturkampf, sagen Beobachter.
Es ist der 7. Januar 2015: Zwei Brüder verüben ein Massaker in der Redaktion der Pariser Satirezeitschrift Charlie Hebdo, zwei Tage später macht ein Bekannter der Brüder gezielt Jagd auf Juden in einem Pariser Supermarkt. Insgesamt 17 Menschen sterben in jenen Tagen durch den islamistischen Terror.
Der Beginn eines schwarzen Jahres für Frankreich, das seinen Tiefpunkt im November mit den Terroranschlägen im Musikclub Bataclan und mehreren Cafés erleben sollte.
"Je suis Charlie": Die Solidarität mit den Opfern war in den Tagen nach dem Terroranschlag überwältigend.
"Ein Wendepunkt für Frankreich", sagt der führende französische Islamkenner Gilles Kepel: "Das Attentat auf "Charlie Hebdo" hat die französische Gesellschaft schwer traumatisiert, trotz der gewaltigen Solidaritätskundgebungen mit mehreren Millionen Teilnehmern wenige Tage danach. Das Trauma ist auch so groß, weil die Attentäter junge Franzosen waren, hier geboren, aufgewachsen und ausgebildet. Durch salafistische Gehirnwäsche wurden die aber zu Kämpfern gegen das eigene Land, im Dienste des 'Islamischen Staates'. Das hat zu einem Bruch in der Gesellschaft geführt."
"Radikaler Islam auf dem Vormarsch"
Kepel spricht von einem Kulturkampf, der in Frankreich tobe. Es sei ein Kampf zwischen der radikalislamistischen Vision der Salafisten, die die Moslems zum Dschihad gegen die Ungläubigen führen wolle und den Werten der Republik, die allen Menschen, egal welcher Religion, die gleichen Rechte einräume.
"Die große Mehrheit der Moslems in Frankreich steht natürlich nicht hinter dieser dschihadistischen Vision, aber der radikale Islam ist auf dem Vormarsch. Alle Studien zeigen, dass immer mehr junge Moslems zum Beispiel die Homosexualität ablehnen und wollen, dass die Frauen sich verschleiern. Den salafistischen Predigern gelingt es, besonders in den Vorstädten von Paris eine Art Parallelgesellschaft zu etablieren, regelrechte Enklaven in der Gesellschaft."
Der Staat hat aufgerüstet
Die Angst vor islamistischen Gewalttaten hat sich in den Alltag der Franzosen eingefressen. Schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren auf den Bahnhöfen, kein Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen oder Museen ohne Taschenkontrolle. Der Staat, der nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Kepel vor 2015 die Gefahren nicht sehen wollte, hat mittlerweile massiv aufgerüstet. Jahrelang galt der Ausnahmezustand, seine Beendigung ging einher mit einer erheblichen Ausweitung der polizeilichen Befugnisse gegen vermutete Gefährder und der Überwachung ihrer Kommunikation.
Soldaten in der Pariser Metrostation Trocadero Mitte Januar 2015: Lange galt nach den Anschlägen der Ausnahmezustand.
Mehr Sicherheit - weniger Freiheit?
Nach dem Mordanschlag in der Pariser Polizeipräfektur im vergangenen Oktober mit vier Opfern versprach Präsident Macron einen unnachgiebigen Kampf gegen den islamistischen Terrorismus. Und er rief die gesamte Nation zur Wachsamkeit auf - überall, an den Schulen, in den Unternehmen und Behörden, in den Krankenhäusern - um potentielle radikalisierte Gewalttäter frühzeitig aufzuspüren. Etliche der Maßnahmen werden von Wissenschaftlern und Bürgerrechtlern als Einschränkung der persönlichen Freiheiten kritisiert.
Das konsequentere Durchgreifen der Behörden und ebenso die Zerstörung der Strukturen des "Islamischen Staates" im Nahen Osten hat zu einem Wandel bei den französischen Islamisten geführt. Kepel spricht von den "Dschihadisten der dritten Generation", die zumindest derzeit nicht in der Lage zu spektakulären Attentaten seien.
Aber immer wieder schlagen radikalisierte Einzelkämpfer wahllos und meist mit Messern zu, wie erst vor einigen Tagen. "Das ist eine Art alltäglicher Dschihadismus, aber der ist keineswegs weniger gefährlich, denn er erhöht das Misstrauen im Inneren der Gesellschaft weiter."
Toleranz der Franzosen sinkt
In der Tat deuten Umfragen auf eine verringerte Toleranz gegenüber den Moslems in Frankreich hin. So halten mittlerweile 60 Prozent den Islam für unvereinbar mit den Werten der französischen Gesellschaft. Und die extreme Rechte nutzt jeden Vorfall, um das Misstrauen gegen den Islam zu schüren.
Es hat sich allerdings auch eine lautstarke Bewegung formiert, die die Moslems als Opfer sieht. Im November hat ein Kollektiv zu einem Protestmarsch gegen die Islamfeindlichkeit aufgerufen, unterstützt von einigen linken Politikern und Gewerkschaftern.
Im November 2015 folgte der Terroranschlag auf den Musikclub Bataclan - wieder in Paris.
Islamwissenschaftler Kepel sieht die Bewegung allerdings sehr skeptisch:"Der Begriff Islamophobie wurde von militanten Islamisten erfunden, um jede Kritik an ihrer Auslegung des Islams zu unterbinden. So wird auch die Meinungsfreiheit torpediert. Eine linksislamische Bewegung wird an Universitäten immer einflussreicher und stört Vorträge von Wissenschaftlern, die sich kritisch mit dem Islam auseinandersetzen. Ich habe das selbst erfahren müssen."
Ebenso wie die überlebenden Karikaturisten von Charlie Hebdo, denen von linken Intellektuellen immer wieder eine islamfeindliche Haltung vorgeworfen wird. Fünf Jahre nach den traumatischen Attentaten ist Frankreich weit davon entfernt, zur Ruhe zu kommen.