Brexit-Verhandlungen "Alles läuft in die richtige Richtung"
EU-Ratspräsident Tusk sah zunächst Rückschritte bei den Brexit-Verhandlungen. Er glaubt aber trotzdem an einen baldigen Durchbruch. Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron zeigten sich noch zuversichtlicher.
Kurz vor dem EU-Gipfel haben die EU und Großbritannien versucht, letzte Hürden vor einer Brexit-Einigung abzuräumen. EU-Unterhändler Michel Barnier wertete die Gespräche positiv, wies aber auf ungelöste Probleme hin. Ziel ist ein Vertragsentwurf, den der Gipfel am Donnerstag oder Freitag billigen könnte. Ein Abschluss der Verhandlungen verzögerte sich jedoch im Laufe des Tages immer weiter.
Die Grundlagen der Vereinbarung gebe es bereits, sagte EU-Ratschef Donald Tusk am Nachmittag im polnischen Fernsehen. "Gestern hätte ich darauf gewettet, dass der Deal fertig ist." Doch seien wieder Zweifel aufgekommen. Die Situation im britischen Parlament sei kompliziert. Tusk zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass binnen weniger Stunden eine Klärung möglich sei. "Alles läuft in die richtige Richtung", sagte er.
Merkel: Nachrichten könnten schlechter sein
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich optimistisch. Eine baldige Brexit-Lösung sei möglich, sagte Macron bei der Pressekonferenz zum Deutsch-Französischen Ministerrat in Toulouse. Er glaube, dass eine entsprechende Vereinbarung gerade fertiggestellt werde. "Die Nachrichten aus Brüssel könnten schlechter sein", fügte Bundeskanzlerin Angela Merkel hinzu. Sie glaube an ein Abkommen - und nun noch ein wenig mehr.
Auch Johnson vorsichtig optimistisch
Der britische Premier Boris Johnson erklärte, dass es eine Chance für ein Abkommen gebe. Allerdings gebe es Fragen, die noch nicht gelöst seien. Sein Sprecher sagte, dass Johnson die volle Unterstützung seines Kabinetts habe. Der Premier beabsichtige, am EU-Gipfel teilzunehmen.
Umstritten ist nach wie vor die Frage, wie die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Staat Irland offen gehalten werden kann. Johnson hatte dem irischen Ministerpräsidenten Leo Varadkar dazu vorige Woche neue Angebote gemacht und so Bewegung in den festgefahrenen Streit gebracht. In den vergangenen Tagen legte die britische Seite nach EU-Angaben noch einmal nach.
Im Einzelnen muss geklärt werden, wo und wie Zoll- und Warenkontrollen stattfinden sollen. Zur Debatte steht zudem, welche Mitsprache die nordirische Volksvertretung bei der künftigen Anwendung von EU-Regeln in Nordirland haben soll. Dritter Streitpunkt sind mögliche Verpflichtungen Großbritanniens, auch künftig EU-Sozial- oder Umweltstandards nicht zu unterbieten, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Hauptknackpunkt bei den Brexit-Gesprächen ist die Frage, wie eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland vermieden werden kann.
Dabei fällt aktuell immer wieder das Wort Zollpartnerschaft, über die beide Seiten derzeit offenbar verhandeln. Die Idee: Um beim Warenverkehr Zollkontrollen auf der irischen Insel überflüssig zu machen, würde die Zollgrenze faktisch in der Irischen See verlaufen.
"Nordirland wäre rechtlich gesehen im Zollgebiet des Vereinigten Königreichs, aber de facto wäre es im Zollgebiet der Europäischen Union", zitiert der britische "Guardian" einen Diplomaten. Dieses Modell hätte aber möglicherweise zur Folge, dass Großbritannien im Auftrag der EU beim Transport von Waren über die Irische See nach Nordirland Zollkontrollen übernehmen müsste.
Ein ähnlicher Vorschlag war schon einmal diskutiert und verworfen worden. Die damalige Regierungschefin Theresa May hatte betont, kein britischer Premierminister könne dies akzeptieren.
Die Verzögerungen bei den Verhandlungen gingen offenbar darauf zurück, dass sich die britischen Unterhändler mit London abstimmen mussten. Ein EU-Vertreter sagte spät nachmittags, man warte auf Rückmeldung aus der britischen Hauptstadt. Dort wurde aber eine Kabinettssitzung vorzeitig abgebrochen, weil am Verhandlungstisch in Brüssel noch nichts entschieden war.