Vor Brexit-Entscheidung Das große Rätselraten
Eine Schlappe für Premierministerin May bei der Brexit-Abstimmung scheint wahrscheinlich. Wie geht es dann weiter? Darüber rätseln die Briten genauso wie die EU.
Eine lange Pause. Ein tiefer Seufzer. Ein ratloser Blick. In Brüssel sind das die typischen Reaktionen auf die Frage aller Fragen. Was passiert, wenn Theresa May nächste Woche mit ihrem Brexit-Deal wie erwartet im Londoner Parlament scheitert? "Das ist das große Rätsel. Nicht mal ihre eigenen Minister wissen, was sie dann vorhat", sagt Richard Corbett, Labour-Abgeordneter im Europaparlament.
In Sachen Brexit scheint alles möglich: Ein Misstrauensvotum, vorgezogene Neuwahlen, eine zweite Volksabstimmung oder sogar das totale Chaos - der No-Deal.
"Wir werden die EU am 29. März verlassen"
Den Austritt ohne Vertrag hat die britische Regierung mit 89 Lkw im Hafen von Dover schon mal hat proben lassen. Ein Mini-Stau als maximales Druckmittel, um die renitenten Parlamentarier kurz in den Abgrund blicken zu lassen. Aber ob das wirklich hilft?
Brexit-Staatssekretär Martin Callanan war diese Woche bei seinem Besuch in Brüssel demonstrativ optimistisch: "Es ist die Politik unserer Regierung, die Frist für den Austritt nicht zu verlängern. Wir werden die EU am 29. März verlassen, so wie das der europäische Vertrag vorsieht, so wie es das unser Parlament will und so wie wir das jetzt auch in der Gesetzgebung machen werden." Wenn er sich da mal nicht täuscht.
Labour-Mann Corbett glaubt an einen Austritt zum 29. März.
Ein Land steckt in der Klemme
Denn es wird aller Voraussicht nach im Londoner Unterhaus keine Mehrheit für das Austrittsabkommen geben. Im Gegenteil. Die Frage ist eigentlich nur, wie groß die Schlappe für May sein wird. Einen harten Brexit allerdings wollen die britischen Parlamentarier ebenfalls verhindern. Ein Land steckt in der Klemme. Und jetzt? "Wenn Du nicht ohne Deal gehen willst, aber den Deal, der auf dem Tisch liegt, ablehnst, dann gibt es doch nur zwei logische Möglichkeiten: Einen anderen Vertrag aushandeln, was schwierig ist, oder man musst den Brexit stoppen", sagt Labour-Mann Corbett. "Das ist rechtlich ganz einfach, aber politisch brauchst du dafür ein neues Referendum."
Und einen Aufschub. Denn bis zum 29. März lässt sich eine neue Abstimmung nicht organisieren. Das heißt, London müsste die EU-27, also die Europäische Union minus Großbritannien, um eine Fristverlängerung für den Brexit bitten und sich dafür eine gute Begründung einfallen lassen.
Rufe nach zweitem Referendum werden lauter
Die Stimmung in Großbritannien scheint sich inzwischen gedreht zu haben. Die Rufe nach einer zweiten Volksabstimmung werden immer lauter. Und das Europaparlament fordert die Briten in einem offenen Brief dazu auf, ihre Brexit-Entscheidung zu überdenken, ein Austritt würde beiden Seiten schließlich nur schaden.
Mehr als 100 Parlamentarier haben den Brief schon unterschrieben, Tendenz weiter steigend. Sollte es tatsächlich ein neues Referendum geben, dann steht nach Ansicht des Brüsseler Labour-Abgeordneten Corbett das Ergebnis so gut wie fest, weil vor allem die Anhänger seiner Partei ihre Meinung geändert haben und nicht noch mal auf die falschen Versprechungen der Brexit-Fans reinfallen.
Alle aktuellen Meinungsumfragen, sagt er, zeigen eine klare Mehrheit dafür, in der EU zu bleiben. "Die Menschen wollen den Brexit nicht mehr", glaubt Corbett.