Polnisch-belarusische Grenze Wie Geflüchtete instrumentalisiert werden
Deutlich mehr Geflüchtete als bisher werden durch Belarus an die polnische Grenze geschleust. Dabei wurden bereits polnische Soldaten attackiert. Das sei Teil der hybriden Kriegsführung, sagt Polen und baut den Grenzschutz aus.
Michał Bura muss anhalten und eine Stacheldrahtsperre beiseiteschieben. Vor ein paar Jahren habe man auf dieser Straße noch bis nach Belarus fahren können, sagt er. Jetzt steht hier der fünfeinhalb Meter hohe Grenzzaun. Bura biegt in seinem Jeep auf den Kontrollweg ein.
Zwischen dem Zaun und einer zusätzlichen Reihe Stacheldraht patroullieren er und seine Kollegen vom polnischen Grenzschutz - auf der Suche nach Geflüchteten, die auf der belarusischen Seite im Wald auf ihre Chance warten, in die EU zu kommen
Die Zahlen änderten sich immer, erklärt Bura. "Wir haben kürzlich mit Migranten gesprochen, die sagten, es seien einige hundert Menschen. Aber das kann sich auch über Nacht wieder ändern. Sie werden von den belarusischen Diensten von Ort zu Ort gebracht."
Mehr als 20.000 Versuche allein in 2024
Bura fährt vorbei an neu aufgestellten Kameramasten. Die Grenze wird weiter befestigt. Dort, wo man sich bisher noch auf Flüsse und Sumpfgebiete als natürliche Barrieren verlassen hat, soll auch bald jeder Meter mit Wärmebildkameras und Bewegungsmeldern überwacht sein. Gut 20.000 Versuche nach Polen zu kommen, gab es in diesem Jahr schon. Deutlich mehr als 2023. Und immer öfter werden Grenzschützer durch den Zaun angegriffen. Anfang Juni ist ein polnischer Soldat an Stichverletzungen gestorben
"Es ist traurig, dass es so eine Tragödie braucht, um den Menschen zu zeigen, womit wir hier tagtäglich konfrontiert sind.
Lockerung des Waffenrechts für Grenzschützer
Die polnische Regierung um Donald Tusk hat daraufhin, wie schon ihre Vorgänger unter der nationalpopulistischen PiS eine 200-Meter-Sperrzone an der Grenze eingerichtet.
Der Sejm, das polnische Parlament, debattiert derzeit über eine Lockerung des Waffenrechts für Militärs und Grenzschützer. Am strengen Grenzschutz hat sich auch mit der neuen Regierung nichts geändert.
Das sei auch nicht zu erwarten gewesen, sagt Aleksandra Chrzanowska. "Tusk hat im Wahlkampf nichts Gutes versprochen. Aber ich hatte nicht erwartet, dass es noch schlimmer wird."
Die Menschen, denen sie begegne, erzählten von noch schlimmerer, noch grausamerer, rücksichtsloserer Gewalt, die sie nicht nur auf belarusischer, sondern auch auf polnischer Seite erlebten.
Asyl beantragen
Chrzanowska ist vor drei Jahren aus Warschau an die Grenze gezogen, um zu helfen. Mit der Hilfsorganisation Grupa Granica versucht sie die Geflüchteten zu finden, bevor es Grenzschutz, Soldaten oder Bürgerwehr tun. Mit anderen Freiwilligen versorgt sie die oft ausgehungerten und verletzten Menschen. Vor allem rät sie ihnen, Asyl zu beantragen.
Grenzschützer Bura hatte auf seiner Patrouille beteuert, jeder Geflüchtete habe diese Möglichkeit. Zurückgeschickt werde nur, wer nicht um Asyl in Polen bitte. Chrzanowska sagt, das sei eine Lüge: "Sehr viele Menschen, die uns im Wald erklären, dass sie Schutz beantragen wollen, die das auch in unserer Gegenwart den Grenzschutzbeamten sagen, melden sich ein paar Tage später aus Belarus bei uns und sagen, dass sie gezwungen wurden, ein Dokument zu unterschreiben, dass sie nicht verstanden haben, das aber besagt, dass sie keinen Schutz in Polen beantragen wollen."
Russische Visa
Am Ende seien illegale Push-Backs die Regel. Online kursieren Videos von Verletzten, die durch kleine Türen im Zaun förmlich auf die andere Seite gekippt werden. Und die Sperrzone, sagt Chrzanowska, diene lediglich einem Ziel: Helfende und Zeugen sollten von der Grenze ferngehalten werden. Aber auch sie weiß, dass die Geflüchteten gezielt mit russischen Visa ausgestattet durch Belarus an die Grenze gebracht werden. Auch die Gewalt, die Angriffe auf polnische Beamte seien Teil dieser Strategie.
"Die, die so aggressiv sind, sind keine Geflüchteten, die auf der Suche nach Schutz herkommen. Es sind Menschen, deren Aufgabe es ist, die Situation zu destabilisieren", erklärt Chrzanowska. Sie seien genauso aggressiv zu den Geflüchteten, wie zu den polnischen Behörden.
"Die Leute erzählen uns, dass die belarusischen Behörden sie zwingen, ihre eigene Hinrichtung zu inszenieren, um sie einzuschüchtern. Sie müssen Gräben ausheben und sagen, dass das ihr Grab sein wird."
Polens neuer Premierminister Tusk ändere am Leid der Menschen gar nichts. Er kleide es nur in schönere Worte, meint Aleksandra Chrzanowska. Michał Bura, der Grenzschützer, sagt, Regierungen kämen und gingen. Die Grenze aber müsse immer geschützt werden. Sie sei heilig.