Opposition reagiert auf Stichwahl Viel Frust, wenig Hoffnung
In der Türkei deutet alles auf weitere fünf Jahre Erdogan hin. Wie dies im Land gesehen wird, welche Gründe und welche Folgen das hat, schätzte ARD-Korrespondentin Katharina Willinger auf tagesschau24 ein.
Waren die türkischstämmigen Wählerinnen und Wähler im Ausland das Zünglein an der Waage? Nach Informationen der ARD-Korrespondentin Katharina Willinger in Ankara sind viele Anhänger der Opposition ungehalten über die Wahlberechtigung der Türkinnen und Türken im Ausland. So neigt beispielsweise die türkische Gemeinde in Deutschland dazu, mit deutlicher Mehrheit für Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan zu stimmen; bei einem knappen Wahlausgang könnten es also ausgerechnet diese Stimmen sein, die am Ende entscheiden. "Das wird hier schon sehr kontrovers diskutiert", sagte Willinger bei tagesschau24.
"Viele sagen, am Ende geben vielleicht die Stimmen der Auslandstürken den Ausschlag." Das ärgere viele Türkinnen und Türken, dass das Ergebnis im Ausland wesentlich deutlicher ausfällt als hier der Türkei, so Willinger. Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte Erdogan unter den türkischstämmigen Wahlberechtigten in Deutschland rund 65 Prozent der Stimmen erhalten; bei der Stichwahl könnten es laut Willinger noch mehr gewesen sein.
Folgt jetzt ein Exodus der Jungen?
Während die Anhänger des amtierenden Präsidenten der Meinung seien, nur Erdogan könne die Türkei nach vorne bringen, befürchteten nun viele Oppositionsanhänger, dass das Land unter einer weiteren Amtszeit Erdogans noch weiter in Richtung Autokratie abdriften könnte, so Willinger. Sie fürchteten, "es wird zu weiteren Einschnitten kommen in der Rechtsstaatlichkeit, beim Thema Frauenrechte, bei der Wirtschaft."
Die Wirtschaft sei schon jetzt eine Dauerbaustelle: "Wir haben eine unglaublich hohe Inflation. Sie liegt offiziell bei etwa 50 Prozent, inoffiziell dürfte sie deutlich höher liegen", so die ARD-Korrespondentin. Hier rechneten viele mit weiteren Verschlechterungen, denn die türkische Regierung habe ein "Vertrauensproblem im Ausland". "Ich glaube nicht, dass Erdogan das so schnell in den Griff bekommen wird", schätzte Willinger.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die allgemeine Stimmung in der Türkei sei die Sichtweise der jungen Menschen. Sehr viele von ihnen sagen laut Willinger, "dass sie, wenn Erdogan weiter an der Macht bleibt, nicht mehr in der Türkei bleiben wollen, weil ihnen die wirtschaftlichen Möglichkeiten fehlen, die sozialen, die politischen Alternativen."
Konservative und Medien stützen Erdogan
Ungeachtet der wirtschaftlichen Lage und der Kritik am Umgang mit der Erdbeben-Katastrophe gibt es laut Willinger immer noch große Teile der türkischen Gesellschaft, die Erdogan weiter unterstützten. "Das ist der Teil der Türkei, der konservativ ist und der gläubig geprägt ist", so die Korrespondentin. "Viele von ihnen sagen, 'er ist einer von uns'. Er hat den Religiösen im Land eine Stimme gegeben."
Ein weiterer wichtiger Faktor, der ausschlaggebend für Erdogans Erfolg war, sind laut Willinger die Medien, die in weiten Teilen von der Regierung kontrolliert werden. Die Tatsache, "dass Erdogan in den Medien, in der Berichterstattung, im Wahlkampf einen unglaublichen Vorteil hatte - nicht nur den Amtsinhaber-Bonus -, dass er diverse teure Wahlgeschenke machen konnte - das Renteneintrittsalter hat er herabgesenkt, er hat den Mindestlohn wenige Monate vor der Wahl verdoppelt. Das konnte Kilicdaroglu natürlich nicht."
Auch in der medialen Berichterstattung sei der Amtsinhaber deutlich häufiger vorgekommen als der Herausforderer, "und hier geht es nicht um zwei, drei Sendungen mehr, sondern hier geht es teilweise um einen Unterschied von 40 Stunden Erdogan zu 40 Minuten Kilicdaroglu im staatlichen Fernsehen vor dem ersten Wahlgang." Am Ende könnten solche Dinge den Ausschlag geben.