Kommunalwahl in der Türkei Alle Augen auf Istanbul
In der Türkei hat die Kommunalwahl begonnen. Vor allem im Fokus: Istanbul. Präsident Erdogan möchte die Stadt unbedingt der Opposition entreißen. Das Ergebnis könnte weitreichende Folgen für die Türkei haben.
Seit Wochen stehen lärmende Lautsprecherwagen auf Plätzen und fahren durch die Straßen. Im Fernsehen und bei Kundgebungen laufen Werbespots, untermalt mit den jeweiligen Wahlkampfliedern: "Gibt es ein Problem - ich bin Murat Kurum" und "Istanbul - noch einmal mit Ekrem Imamoglu", heißt es darin.
Zwar werden im ganzen Land weit mehr als 1.000 Bürgermeister und Gemeinderäte sowie zehntausende Ortsvorsteher gewählt. Aber es geht vor allem um diese beiden Kandidaten von AKP und CHP für den Posten des Oberbürgermeisters in Istanbul.
Eine Bestätigung im Amt des Bürgermeisters würde Imamoglus Chance erhöhen, Präsidentschaftskandidat zu werden.
"Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei"
In der Mega-Stadt mit ihren offiziell 18 Millionen Einwohnern konzentriert sich die meiste Wirtschaftskraft des Landes - und damit auch Geld. In den 1990er-Jahren hieß der Bürgermeister Recep Tayyip Erdogan. "Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei", hat er einmal gesagt.
Bei der Wahl 2019 gewann allerdings Imamoglu von der oppositionellen CHP. Schafft er es noch einmal, könnte das der ganzen CHP helfen, Erdogans AKP mittelfristig doch noch den Rang abzulaufen.
Der Präsident prägt den Wahlkampf
Es sind Gründe genug für Erdogan, sich in den Wahlkampf einzuschalten und Imamoglu direkt anzugreifen: "In welchem Zustand befand sich Istanbul, als Sie mich zu Ihrem Bürgermeister machten?", fragt Erdogan auf Kundgebungen in die Menge und antwortet dann selbst: "Müll, Schlaglöcher, Schlamm. Das ist die CHP! Und was hat sich geändert, nachdem Imamoglu sein Amt angetreten hat? Wieder Müll, Schlaglöcher und Teilzeitarbeit, das hat er gemacht!"
Mit "Teilzeitarbeit" meint er, Imamoglu habe sich um alles Mögliche gekümmert, zum Beispiel um seine CHP, aber zu wenig um die Stadt.
In den türkischen Medien dreht der so Attackierte den Spieß um, verweist auf die lange Vorherrschaft der AKP in der Stadt und wirft Erdogan Korruption vor: "Wir haben in fünf Jahren mehr getan als sie in 25 Jahren. Sie haben sich mit Luxuswohnungen beschäftigt, sie haben Luxuswohnungen für Freunde und Verwandte gebaut, ich spreche hier ganz deutlich."
AKP-Kandidat mit Altlast
Man könnte meinen, es gehe um Erdogan und Imamoglu. Dabei ist Murat Kurum der eigentliche AKP-Kandidat. Er verspricht etwa einen erdbebensicheren Umbau der Stadt.
Doch hier ist er angreifbar: In seine Zeit als Städte- und Bauminister fällt die so genannte Bauamnestie. Etliche damals schlampig gebaute, aber eben doch zugelassene Häuser sind bei dem Erdbeben vergangenes Jahr eingestürzt.
Das Versprechen von "Frieden und Glück"
In ihren Wahlversprechen beschwören Imamoglu und Kurum beide ein sozial besseres und gerechteres Leben in Istanbul. Im Wahlkampf setzen sie vor allem auf Stimmungsmache. Passend zu seinem Slogan "Nur Istanbul" unterstellt Kurum - wie Erdogan - Imamoglu, dieser habe die Stadt vernachlässigt.
Sich selbst preist er auf Kundgebungen als redlichen Diener der Stadt an: "Komm schon Istanbul, wähle deine Stadt, damit Istanbul wieder gedient wird, Frieden und Glück findet. Du kannst es schaffen, du bist mutig, weil du Istanbul bist, weil du Istanbuler bist."
Bei einigen verfängt das. In einer Straßenumfrage sagt ein Mann: "Natürlich wähle ich Murat Kurum. Imamoglu hat doch nichts gemacht, obwohl wir ihn gewählt haben. Er macht nur Show." Eine Frau hält dagegen weder von dem einen noch dem anderen etwas: "Ich denke zwar, Kurum wird gewinnen, aber ich möchte eigentlich beide nicht."
Kandidatinnen und Kandidaten anderer Parteien gibt es viele. Doch Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Kandidaten von AKP und CHP hin.
Demonstrative Nähe: Erdogan stützt seinen Kandidaten Kurum - dessen Sieg würde auch dem Präsidenten nutzen.
Eine Vorentscheidung für 2028?
Für Imamoglu und Kurum ist der Ausgang der Wahl besonders wichtig. Gewinnt Imamoglu, könnte das den landesweiten Bedeutungsschwund seiner CHP stoppen und ihn selbst schon jetzt zum aussichtsreichsten Anwärter auf die Kandidatur für die nächste Präsidentschaftswahl 2028 machen.
Gewinnt Kurum, wird Erdogan noch mächtiger. Neulich hat er zwar angekündigt, er werde nicht wieder für das Präsidentenamt antreten, was ihm auch die Verfassung verbietet. Doch manche glauben, Erdogan strebe nach einem Sieg der AKP in Istanbul womöglich eine Änderung der Verfassung an, um eine weitere Amtszeit zu ermöglichen.
Ein Mann auf der Straße befürchtet daher sogar, dass die AKP eine Niederlage in Istanbul schlicht nicht akzeptieren würde: "Sie werden alles tun, um Istanbul zu bekommen. Und sie sind in der Lage, alles zu tun. Ich mache mir Sorgen. Ich schicke deshalb meine Kinder ins Ausland."
Europarat besorgt um Fairness
Wie berechtigt solche Sorgen sind, kann niemand sagen. Am Wahltag selbst wird es unterm Strich vermutlich ähnlich fair zugehen wie bei den Wahlen vergangenes Jahr. Doch der Wahlkampf 2023 war vor allem bei der Medienpräsenz ein ungleicher.
Für die Wahlbeobachter des Kongresses des Europarates ist das ein Grund, genauer hinzuschauen. Der Leiter der deutschen Delegation, Sören Schumacher, sagte der ARD, man müsse insgesamt "ein bisschen besorgt" auf die Türkei blicken.
Die Gleichbehandlung der Parteien im Wahlkampf sei noch zu überprüfen. Ihr erstes Fazit von den Kommunalwahlen, auch in Istanbul, wollen die Beobachter am Montag vorstellen.