Einen Monat nach Assads Sturz Wohin steuert Syrien?
Vor einem Monat hat die HTS-Miliz Syriens Langzeitherrscher Assad gestürzt. Meist geben sich die neuen Machthaber pragmatisch - aber es gibt auch Anzeichen, dass sie ihre islamistische Agenda durchsetzen wollen.
Anwalt Hassan Ali Abdullah sitzt in seinem Büro etwas außerhalb von Damaskus. Links hinter ihm hängt seine schwarze Anwaltsrobe, auf der rechten Seite steht die neue syrische Flagge - grün-weiß-schwarz mit drei roten Sternen in der Mitte.
Er hat unter Baschar al-Assad praktiziert - er wird dies auch unter den neuen Machthabern tun. Wie viele Syrer zur Zeit spricht er öffentlich nur von den Vorteilen, die er sich vom Systemwechsel verspricht. "Wenn die Wirtschaft wieder anläuft, wird die Nachfrage nach Rechtsberatern und Anwälten steigen", sagt er. "Wir hoffen auf eine bessere Zukunft."
Hoffnung ist auch einen Monat nach Assads Sturz das prägende Gefühl auf den Straßen von Damaskus. In der Umbruchszeit genießen die Menschen in Syrien Freiheiten, die sie nie gekannt haben. Doch wie lange hält das an? Wohin führen die neuen Machthaber das Land?
"Sind noch im Prozess"
Ahmed al-Scharaa, der starke Mann im Staat, hält sich mit programmatischen Aussagen zurück. "Es ist keine leichte Aufgabe, in der Übergangsphase zu führen", sagte er. "Niemand kann einfach kommen, wichtige Entscheidungen treffen und erwarten, dass sie sofort umgesetzt werden. Wir sind noch im Prozess, die Dinge einfach zu managen."
Der Mann, der unter dem Kampfnamen Abu Muhammad al-Dscholani beim IS und bei al-Kaida aktiv war, empfängt nun im alten Assad-Palast internationale Politiker. Darunter auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die in Damaskus von den Chancen des Neuanfangs sprach, aber auch Erwartungen formulierte. "Europa wird unterstützen, aber Europa würde nicht Geldgeber neuer islamistischer Strukturen sein", sagte sie.
Demnächst soll auf einer Konferenz des Nationalen Dialogs darüber beraten werden, wie es in Zukunft in Syrien weitergeht. Al-Scharaa hat versprochen, Mitglieder aus allen Gruppen der syrischen Gesellschaft dazu einzuladen. Wann diese Konferenz stattfinden soll, ist noch unklar, ebenso, wer tatsächlich teilnehmen wird.
Justizminister entwickelt sich zum Problem
In der Zwischenzeit regieren die Islamisten der HTS alleine - besetzen Posten und offenbaren mit manchen Äußerungen auch ihr Weltbild. So deutete der Justizminister der Übergangsregierung, Shadi al-Waisi, kurz nach der Machtübernahme an, künftig werde das Richteramt für Frauen nicht mehr zugänglich sein.
Anwalt Hassan Ali Abdullah hält das für ein Gerücht: "Das ist falsch", sagt er. "Der Justizminister hat bestätigt, dass sowohl Richter als auch Richterinnen weiter ihr Amt ausüben können - ohne Diskriminierung."
Dennoch entwickelt sich Justizminister al-Waisi zunehmend zum Problem für die Regierung. In sozialen Netzwerken kursieren Videos, wie er 2015 die Hinrichtung einer Frau beaufsichtigt hat, der Prostitution vorgeworfen wurde. Das Video ist offenbar authentisch - eine offizielle Reaktion der Machthaber in Damaskus gibt dazu es noch nicht.
Gefechte im Norden des Landes
Das Islamistenbündnis HTS ist aktuell die stärkste militärische Kraft im Land - doch die einzige ist sie nicht: Im Norden kommt es immer wieder zu Gefechten zwischen von der Türkei unterstützten Milizen und kurdischen Kräften.
Ein Kommandeur der kurdischen YPG-Miliz warnte zudem davor, dass auch die Dschihadisten des IS noch im Land aktiv seien: "Es gibt Hunderte Kämpfer des IS. Sie bewegen sich jetzt frei im ganzen Land. Aus meiner Sicht teilen die neuen Herrscher in Damaskus die gleiche Ideologie wie der IS."
Die neuen Herrscher in Damaskus haben angekündigt, die Sicherheitskräfte des Landes neu zu organisieren. Unter Führung von HTS-Kadern sollen die verschiedenen Milizen in die Armee integriert werden. Auch mit den Kurden gab es dazu schon Gespräche. Es wird eine Mammutaufgabe - wie auch der Wiederaufbau des in weiten Teilen zerstörten Landes.