Mitglieder der Hisbollah tragen einen Sarg in Beirut.
interview

Israels Angriffe im Libanon "Die Hisbollah ist sehr geschwächt"

Stand: 24.09.2024 14:52 Uhr

Selbst wenn es nicht zum großen Krieg zwischen der Hisbollah und Israel kommt, besteht doch die Gefahr monatelanger Kämpfe, meint Konflikforscher Stetter. Denn die Hisbollah sei geschwächt - und Israel wolle dies ausnutzen.

tagesschau24: Israel hat die Angriffe auf die Hisbollah im Libanon stark ausgeweitet. Welche Strategie verfolgt Israel, indem es den Fokus im Moment von der Hamas auf die Hisbollah verschiebt?

Stephan Stetter: In der Tat gab es eine Verschiebung der Fronten, an denen die israelische Armee mehrheitlich eingesetzt ist, vom Gazastreifen bis in den Norden Israels. Was wir jetzt sehen, ist eigentlich eine Folge nach dem umfassenden Geheimdienstangriff Israels auf die Hisbollah. Nach der Explosion Tausender Pager in der vergangenen Woche war eine größere Militärkampagne erwartbar, durch die die Hisbollah dauerhaft geschwächt werden soll.

Das Problem sind nun zum einen die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Das andere Problem ist, dass die Gefahr besteht, dass zwar nicht zwangsläufig eine umfassende Eskalation im Sinne eines großen Krieges kommt, aber doch ein Konflikt wieder Monate dauern könnte, wie wir das auch im Gazastreifen gesehen haben.

Stephan Stetter, Konfliktforscher an der Universität der Bundeswehr München, zu den israelischen Angriffen im Libanon

tagesschau24, 24.09.2024 11:00 Uhr

"Auch eine Bodenoffensive ist denkbar"

tagesschau24: Für wie wahrscheinlich halten Sie eine mögliche Bodenoffensive Israels im Libanon, und was würde das bedeuten?

Stetter: Das ist in Israel auch noch umstritten und wird diskutiert. Es gibt auch Akteure in Israel, die hier skeptisch sind und Militärschläge wie momentan für ausreichend halten. Ich halte es aber für überhaupt nicht ausgeschlossen, dass dies passiert.

Und das würde größere internationale Folgen haben. Denn das eigentliche diplomatische Ziel ist ja, dass diese Grenzregion im Süden Libanons dauerhaft befriedet wird. Wenn jetzt eine israelische Bodenoffensive käme, würde dies wieder in weite Ferne rücken.

Stephan Stetter
Zur Person

Stephan Stetter lehrt internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist der Themenbereich Konflikte und Gesellschaft im Nahen und Mittleren Osten, mit besonderem Fokus auf Israel und Palästina.

"Israel will die Hisbollah dauerhaft schwächen"

tagesschau24: Die Hisbollah feuert ja seit vielen Monaten Raketen auf Israel ab. Ist mit einer noch stärkeren Reaktion durch die Hisbollah nach diesen Angriffen zu rechnen?

Stetter: Ich glaube, die Hisbollah ist sehr geschwächt. Der Angriff von letzter Woche kam sehr überraschend. Auch die jetzigen Angriffe zeigen, dass Israel die Hisbollah dauerhaft schwächen möchte. Wir sehen, dass die Hisbollah aber auch der Iran recht ratlos erscheinen, wie sie nun reagieren können.

Israel nutzt die Gunst der Stunde, um die Kräfteverhältnisse zu ändern. Man muss auch sagen, dass Israel von der Hisbollah bedroht und seit einem Jahr beschossen wird. Auch ist der Norden Israels in weiten Teilen entvölkert, weil die dortige Bevölkerung von der Hisbollah beschossen wurde und diese Gebiete weitgehend verlassen hat.

Angesichts der militärischen Bedrohungen halte ich die Gefahr für realistisch, dass eine wirklich ernsthafte Suche nach einer diplomatischen und langfristigen Lösung mit Blick auf Libanon oder den Gazastreifen derzeit leider nicht im Zentrum der Entscheidungsfindung steht.

"Irans Ziel ist es, nicht im Scheinwerferlicht zu stehen"

tagesschau24: Noch einmal zur Rolle des Iran. Nach der Tötung des Hamas-Anführers Ismail Hanija im Iran hält sich das Land ja auffallend zurück. Wie erklären Sie sich das?

Stetter: Wir dürfen die innenpolitischen Verhältnisse im Iran nicht vergessen. Die Präsidentschaftswahl hat gezeigt, dass dieser totale Hardliner-Kurs auch im Iran sehr umstritten ist. Viele dort wünschen sich eine andere Richtung des Landes.

Wir sehen zudem, dass der Iran nicht so stark dabei ist, seine regionalen Allianzen zusammenzuhalten. Im Wesentlichen agiert und interagiert Iran ja nicht mit Staaten, sondern mit bewaffneten Akteuren wie der Hisbollah, den Huthis und den Milizen, die es im Irak und in Syrien gibt.

Irans vordringliches Ziel ist es, nicht selbst im Scheinwerferlicht zu stehen, sondern die Konflikte in seiner Nachbarschaft sich austragen zu lassen. Der Iran möchte diesen Kurs so fortsetzen, hat aber hier an Machtmitteln etwas verloren. Meine Beobachtung ist, dass in Teheran deswegen eine erhebliche Unruhe herrscht.

"Keine große Veränderung" vor den US-Wahlen

tagesschau24: Welche Möglichkeiten bestehen überhaupt noch, damit sich die aktuelle Lage nicht weiter verschärft?

Stetter: Die Lage ist derzeit nicht einfach. Innenpolitisch werden Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und seine Regierung durch dieses Vorgehen gestärkt. Der Angriff auf die Hisbollah letzte Woche war aus israelischer Sicht sehr erfolgreich.

Außenpolitisch gibt es viele Initiativen, unter anderem der Vereinigten Staaten. Insbesondere die haben einen Sondergesandten für Libanon, der seit vielen, vielen Monaten und Jahren hier aktiv ist. Es gibt die Präsidentschaftswahlen in den USA, und ich erwarte, bevor die stattgefunden haben, hier keine große Veränderung.

Die Einflussmöglichkeit der USA

tagesschau24: In den USA tagt ja gerade die UN-Vollversammlung. Die Rolle der einzelnen Mitglieder aus Nahost ist hier ein wichtiges Thema. Für den scheidenden US-Präsidenten Joe Biden wäre es wichtig gewesen, diesen Konflikt zu beenden. Aber auch er scheint ja keine bremsende Wirkung mehr zu haben. Was kann er überhaupt noch bewirken?

Stetter: Die USA sind eine Supermacht und haben weiterhin ihre diplomatischen Möglichkeiten. Aber es ist tatsächlich so, das haben wir auch im Gazakrieg gesehen, dass die Einflussmöglichkeiten der USA dann aufhören, wenn es darum geht, die regionalen Akteure tatsächlich zusammenzubringen und eine langfristige politische Lösung für die Konflikte im Nahen Osten zu finden.

Es gibt hier Referenzpunkte, an denen muss aus meiner Sicht weiter gearbeitet werden, auch, wenn sich nicht alles sofort umsetzen lässt. Das heißt, eine Rückkehr der Geiseln aus dem Gazastreifen, ein Waffenstillstand auch im Gazastreifen, eine zivile Verwaltung des Gazastreifens mit einer internationalen Präsenz arabischer Staaten und anderer.

Für den Libanon würde das bedeuten, auf die UN-Sicherheitsrats-Resolution 1701 aus dem Jahre 2006 zurückzukommen, die auf einen Waffenstillstand und den Rückzug der Hisbollah auf die Linie des Litani-Flusses abzielt. Dazu gehört auch die Frage, welche Stellung die Hisbollah eigentlich im libanesischen politischen System hat.

Das Gespräch führte Bibiana Barth, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht überarbeitet.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 24. September 2024 um 11:00 Uhr.