Kampf gegen die Energiekrise Japan setzt auf greise AKW
Ausgerechnet Japan könnte in einigen Jahren das Land mit den ältesten Atomkraftwerken der Welt sein. In der Energiekrise will die Regierung alte Meiler zurück ans Netz holen. Nach der Katastrophe von Fukushima waren sie abgeschaltet worden.
Sprechchöre zerreißen die Sonntagsruhe im Zentrum von Osaka, der zweitgrößten Stadt Japans. Etwa 1000 Demonstranten umstellen den Sitz des regionalen Energieversorgers KEPCO, einem Betreiber von Atomkraftwerken im Westen des Landes. "Fukushima ist nicht vorbei!", rufen sie, "Wiederanfahren - wir sind dagegen!" Es geht um die alten Reaktoren, die Japans Regierung wieder an das Stromnetz anschließen lässt. Der Widerstand dagegen kommt vorwiegend aus der Landbevölkerung.
Kernspaltung, nach zehnjähriger Pause
Zwei Stunden Anfahrt mit der Bahn hat die 58-jährige Kiyoko Yamamoto auf sich genommen. Nahe ihres Heimatorts produziert das AKW Mihama neuerdings wieder Strom. Der Reaktor gehört mit 46 Jahren zu den ältesten in Japan. Nach der Katastrophe von Fukushima war er zehn Jahre lang vom Netz. Jetzt geht es mit der Kernspaltung weiter, als sei nie etwas gewesen.
"Sie sagen, sie hätten Teile ausgetauscht. Aber der Reaktor ist doch immer noch derselbe", klagt Yamamoto. "Die Menschen in der Region sind dagegen, das sollten die hier endlich begreifen."
Regierung will Strom-Engpässe verhindern
Der Methusalem-Meiler ist Teil eines Plans, mit dem die japanische Regierung Strom-Engpässe verhindern will. Alte Atomkraftwerke sollen zügig zurück ans Netz. Für landesweit 27 abgeschaltete Reaktoren haben die Betreiber neue Betriebsgenehmigungen beantragt. Für 17 Anlagen wurde sie bereits erteilt. Es könnte ein Wiedereinstieg auf Dauer werden.
In Japan muss ein Atomkraftwerk nicht schließen, wenn es die geltende Laufzeitbegrenzung von 40 Jahren erreicht hat. Eine Verlängerung von 20 Jahren ist möglich. Selbst dann ist noch lange nicht Schluss, wenn es nach der Regierung geht. Sie will die Zeit der Zwangspause nach Fukushima den Betreibern gutschreiben. Im Ergebnis dürfte ein japanisches AKW dann bis zu 70 Jahre lang fortbestehen. Sogar die Aufhebung jeglicher Altersbeschränkung für Atomkraftwerke ist nicht mehr ausgeschlossen. Ebenso wenig der Bau neuer Anlagen.
Betreiber wollen Kosten wieder reinholen
Der Anteil der Atomkraft am japanischen Strommix soll von aktuell etwa sieben Prozent auf mehr als 20 Prozent steigen. Anders sei die Energiekrise nicht zu meistern. Doch dahinter stehen noch andere Motive, meint Mika Ohbayashi, Direktorin des Instituts für Erneuerbare Energie in Tokio. Nach Fukushima seien Milliarden in die Sicherheit der Anlagen investiert worden. Den Betreibern gehe es darum, die Kosten wieder einzuspielen. "Sie brauchen den Atomstrom, um ihren Gewinn wieder herzustellen", so Ohbayashi.
Kurzfristig kann die Atomkraft in Japan jedoch nur einen geringen Beitrag zur Linderung der Energieknappheit leisten. Von einst 54 Reaktoren sind heute zehn offiziell in Betrieb. Aber nur sieben liefern wirklich Strom. Die übrigen drei stehen wegen Wartungsarbeiten still.
Am 23. Juni 2021 protestieren die Menschen vor dem AKW Mihama gegen die Wieder-Inbetriebnahme. Noch am selben Tag wurde der Reaktor wieder hochgefahren.
"Wir haben von Deutschland gelernt"
Der Widerstand in den Landgemeinden gefährdet die Regierungspläne. Denn um ein Atomkraftwerk in Japan anzufahren, müssen die lokalen Behörden am Standort zustimmen. Die äußern selbst in früher Atomkraft-freundlichen Regionen Bedenken gegen die langen Laufzeiten, beobachtet die Energieexpertin Mika Ohbayashi. Die Pläne der Regierung für ein flächendeckendes Comeback der Atomkraft seien nicht realistisch.
Hingegen gewinnen die erneuerbaren Energieträger in Japan schnell an Bedeutung. Seit 2012 gibt es auch in Japan eine Einspeisungsvergütung für die Produzenten. "Wir haben von Deutschland gelernt", sagt Ohbayashi. Bis 2030 sei es möglich, das Doppelte der heute nuklear erzeugten Energie aus Erneuerbaren zu gewinnen, schätzt die Expertin. Die Atomkraft sei nicht nur teurer, sie werde in Japan auch nicht mehr gebraucht.