Netanyahu zu IStGH-Anträgen "Absurd", "empörend", "Angriff auf ganz Israel"
"Empörend" nennen sowohl Israel als auch die USA die beantragten Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsident und Verteidigungsminister. Netanyahu spricht von einem Angriff auf Israel, US-Präsident Biden warnt vor Gleichsetzung mit der Hamas.
Nach den beantragten Haftbefehlen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant haben sowohl Netanyahu selbst als auch Vertreter der US-Regierung den Schritt deutlich kritisiert. Die Anträge seien ein Angriff auf das israelische Militär und ganz Israel, teilte Netanyahu mit. Israel werde den Krieg gegen die Terrormiliz Hamas fortsetzen.
US-Präsident Joe Biden nannte das Vorgehen des Chefanklägers des IStGH gegen Israel "empörend". Israel und die militant-islamistische Hamas dürften nicht gleichgestellt werden, teilte Biden mit. Man werde Israel immer bei Bedrohungen gegen die Sicherheit des Landes zur Seite stehen, so Biden weiter.
Netanyahu bezeichnete die Anträge des Chefanklägers Karim Khan als absurd und warf der Anklage Antisemitismus vor. "Als Ministerpräsident Israels weise ich den Vergleich des Haager Staatsanwalts zwischen dem demokratischen Israel und den Massenmorden der Hamas mit Abscheu zurück", so Netanyahu. "Kein Druck und keine Entscheidung in irgendeinem internationalen Forum wird uns davon abhalten, diejenigen zu treffen, die uns zerstören wollen."
Auch Israels Außenminister Israel Katz sprach von einer "skandalösen Entscheidung". Diese stelle "einen frontalen, zügellosen Angriff auf die Opfer des 7. Oktober und unsere 128 Geiseln in Gaza" dar. Er sprach nach Angaben seines Büros von einer "historischen Schande", die für immer in Erinnerung bleiben werde.
Israels Präsident Itzchak Herzog bezeichnete den Antrag auf Haftbefehl gegen Regierungschef Netanyahu und Verteidigungsminister Gallant ebenfalls als "mehr als empörend". Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid sprach von einem "völligen moralischen Versagen".
Auswärtiges Amt: "Unzutreffender Eindruck einer Gleichsetzung"
Das gleichzeitige Vorgehen des Chefanklägers gegen die Hamas und Israel ließ nach Einschätzung des Auswärtigen Amts ein falsches Bild entstehen. "Durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer auf der einen und die beiden israelischen Amtsträger auf der anderen Seite ist der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden", sagte ein Außenamtssprecher in Berlin. "Jedoch wird das Gericht nun sehr unterschiedliche Sachverhalte zu bewerten haben, die der Chefankläger in seinem Antrag ausführlich dargestellt hat."
Es war die erste Äußerung aus der Bundesregierung zu dem Vorgang. Vergleichsweise detailliert wies das Außenamt auf die Verantwortung der militant-islamistischen Hamas hin: "Die Hamas-Führer verantworten ein barbarisches Massaker, bei dem am 7. Oktober in Israel Männer, Frauen und Kinder auf brutalste Weise gezielt ermordet, vergewaltigt und verschleppt wurden. Die Hamas hält weiterhin israelische Geiseln unter unsäglichen Bedingungen gefangen, greift Israel mit Raketen an und missbraucht die Zivilbevölkerung in Gaza als menschliche Schutzschilde."
Zu Israel hieß es: "Die israelische Regierung hat das Recht und die Pflicht, ihre Bevölkerung davor zu schützen und dagegen zu verteidigen. Klar ist, dass dabei das humanitäre Völkerrecht mit all seinen Verpflichtungen gilt." Deutschland habe den Internationalen Strafgerichtshof immer unterstützt und respektiere seine Unabhängigkeit und seine Verfahrensabläufe wie die aller anderen internationalen Gerichte.
Kritik auch aus Großbritannien
Das Vorgehen des IStGH gegen Netanyahu sei nicht hilfreich, kritisierte ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak. "Diese Maßnahme trägt nicht dazu bei, die Kampfhandlungen zu beenden, Geiseln zu befreien oder humanitäre Hilfe ins Land zu bringen", sagte der Sprecher.
Auf die Frage, ob die Polizei Netanyahu verhaften würde, wenn er nach Großbritannien käme, antwortete er, er werde sich nicht zu den von ihm als "hypothetisch" bezeichneten Aussagen äußern.
"Für Taten muss Rechenschaft abgelegt werden"
Ankläger Karim Khan hatte seine Anträge damit begründet, dass Netanyahu, Gallant und die drei Hamas-Führer - Jahia Sinwar, Mohammed Diab Ibrahim Al-Masri, Deif genannt, und Ismail Haniyeh - in Zusammenhang mit dem seit mehr als sieben Monaten andauernden Krieg in Nahost für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen und in Israel verantwortlich seien.
Netanyahu und Gallant wird unter anderem vorgeworfen, für das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung sowie für willkürliche Tötungen und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten verantwortlich zu sein.
Zum israelischen Vorgehen hieß es in einer Erklärung Khans, dass "die Auswirkungen des Einsatzes von Hunger als Methode der Kriegsführung zusammen mit anderen Angriffen und kollektiven Bestrafungen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza akut, sichtbar und weithin bekannt" seien. Dazu gehörten "Unterernährung, Dehydrierung, tiefes Leid und eine wachsende Zahl von Todesfällen unter der palästinensischen Bevölkerung, darunter Babys, andere Kinder und Frauen".
Den Hamas-Führern wirft der Ankläger unter anderem "Ausrottung" sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Zum Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober, der den Krieg auslöste, sagte er, er habe "die verheerenden Szenen dieser Angriffe und die tiefgreifenden Auswirkungen der skrupellosen Verbrechen, die in den heute eingereichten Anträgen angeführt werden", mit eigenen Augen gesehen.
Richter müssen nun entscheiden
Ob die beantragten internationalen Haftbefehle erlassen werden, müssen nun die Richter des IStGH entscheiden. Der Chefankläger muss die Haftbefehle bei einem aus drei Richtern bestehenden Voruntersuchungsausschuss beantragen, der durchschnittlich zwei Monate braucht, um die Beweislage zu prüfen und zu entscheiden, ob das Verfahren fortgesetzt werden kann.
Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkeiten, Haftbefehle auch zu vollstrecken. Doch ist im Falle einer Vollstreckung die Bewegungsfreiheit der Gesuchten stark eingeschränkt.
Eine Folge der Haftbefehle wäre, dass alle Vertragsstaaten des Gerichts verpflichtet sind, die Gesuchten festzunehmen und dem Gericht zu übergeben, sobald sie sich in ihrem Land befinden. Zudem vertieft Khans Ankündigung die internationale Isolierung Israels. Israel ist kein Vertragsstaat des IStGH.
Es wird vermutet, dass sich sowohl Sinwar als auch Deif im Gazastreifen versteckt halten, wo sie von Israel gesucht werden. Hanija, der oberste Führer der militant-islamistischen Gruppe, hält sich in Katar auf und reist häufig in der Region.
Hamas stellt sich als ungerecht behandelt dar
Die Hamas kritisierte ihrerseits die Anträge des Chefanklägers auf Haftbefehle gegen ihre Anführer. "Seine Entscheidung vergleicht das Opfer mit einem Henker und ermutigt die (israelische) Besatzung, den genozidalen Krieg fortzusetzen", hieß es in einer Stellungnahme, die von dem Hamas-nahen TV-Sender Al-Aksa verbreitet wurde.
Die Organisation habe das Recht, sich der israelischen Besatzung zu widersetzen und dazu gehöre auch der bewaffnete Widerstand - so die Darstellung der Terrormiliz.