Eine Frau steht vor Stühlen mit Fotos der Bibas-Familie, die auf dem sogenannten Geisel-Platz in Israel aufgebaut wurden.

Gaza-Abkommen Wenn Leichen zur Verhandlungsmasse werden

Stand: 20.02.2025 09:26 Uhr

Im Rahmen des Gaza-Abkommens hat die Hamas mehrere tote Geiseln übergeben. Doch auch Israel hält Leichen zurück - darunter die von Zivilisten.

Heute ist ein Tag, der das Trauma zurückholt - im Gazastreifen wurden zum ersten Mal seit dem 7. Oktober Leichen der aus Israel verschleppten Geiseln übergeben. Aber so zynisch das klingt: Auch die Toten sind Teil des Deals zwischen Israel und den Terroristen.

Gershon Baskin aus Jerusalem hat solche Verhandlungen schon erlebt - und auch mit der Hamas hat er gesprochen. Er weiß einerseits, dass die Toten zur Verhandlungsmasse gehören. Andererseits ist ihm klar, wie wichtig es ist, dass die Leichen zurückkommen, denn für ihre Familien endet eine Zeit der schrecklichen Unsicherheit.

"Das heißt, dass sie vielleicht denken, dass die Person noch lebt und doch als Geisel festgehalten wird", sagt Baskin. Ein Abschließen sei dann nicht möglich, und das bedeute eine psychische Belastung, die für ein ganzes Leben bestehen könne.

Israel gibt Tote nicht frei

Das gilt für die Familien der Geiseln, aber auch palästinensische Familien kennen diese Belastung. Denn auch Israel gibt zahlreiche Tote nicht frei - und das nicht erst seit dem 7. Oktober.

Auch damit hat Baskin, der sich schon lange für Dialog zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt, Erfahrung: "Auch Israel hält Leichen als Geiseln, als Instrumente für die Verhandlungen. Das ist schrecklich und zynisch." Zum einen gehe es darum, einen Heldenkult an den Gräbern zu verhindern, doch zugleich seien die Toten auch hier Verhandlungsmasse.

Leichen von Zivilisten

Natürlich wird Israel nicht die Leiche von Jihia Sinwar übergegen - des langjährigen Chefs der Hamas im Gazastreifen, der den Terrorüberfall des 7. Oktober geplant hat. Aber Israel hat nicht nur die Leichen von Terroristen, sondern auch von zahlreichen Zivilisten. Palästinensische Quellen sprechen von 582 zurückgehaltenen Leichen seit 2015.

Seit dem 7. Oktober sind viele dazugekommen, unter anderem Dutzende Palästinenser, die in israelischen Gefängnissen und Lagern gestorben sind. Nicht immer sind die Todesumstände geklärt, oft weiß man nicht, was sie getan haben.

"Keine Chance"

Im Regen von Ramallah, im besetzten Westjordanland, treffen wir Rani Ataya. Sein Bruder Rushdi wurde am 10. Juni 2024 von der israelischen Armee etwas weiter im Norden getötet. Er berichtet, dass es einen Verletzten gegeben habe und sein Bruder gemeinsam mit anderen helfen wollte. "Als sie ankamen, ließ ihnen die Armee keine Chance", sagt er.

Wenn die Soldaten gewollt hätten, hätten sie die Männer festnehmen können, aber stattdessen hätten sie sie töten wollen. "Als sie mit dem Auto ankamen, haben sie alle drei im Auto getötet. Und auch den Verletzten. Vier Tote - Gott schütze sie."

Sein Bruder habe zu keiner Terrororganisation gehört, sagt Ataya, vor dem 7. Oktober habe er sogar eine Arbeitserlaubnis in Israel gehabt. Israels Armee und weitere Behörden waren auf mehrfache Nachfrage des ARD-Studios Tel Aviv nicht zu einer Stellungnahme bereit - auch nicht dazu, warum zahlreiche Leichen nicht herausgegeben werden.

Urteil des Obersten Gerichtshofs

Israels Oberster Gerichtshof hat erst Anfang Januar wieder entschieden, dass es legitim ist, Leichen für die Verhandlungen zurückzuhalten. Doch für Atayas Familie vergrößert das das Leiden. Er betont, dass es keinen Grund gebe, die Leiche nicht freizugeben. "Aber sie behaupten, sie arbeiten an einem Deal zwischen Gaza und Israel. Letztendlich hält Israel die Leichen zurück und behauptet, es gebe einen Austausch."

Doch das sei nicht rechtens, sagt Ataya. "Es gibt kein Gesetz, das das erlaubt. Man kann nicht Leichen für ein, zwei oder fünf Jahre im Kühlhaus oder auf einem anonymen Friedhof lassen für ein Austausch - das sind Menschen."

Keine Übergabe geplant

Immerhin: Einige der toten Geiseln werden jetzt aus dem Gazastreifen gebracht. Viele palästinensische Familien hingegen haben keine Chance, mit ihrer Trauer abzuschließen. Eine Übergabe palästinensischer Leichen ist im Rahmen des Deals bislang nicht geplant.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 20. Februar 2025 um 09:00 Uhr.