Westjordanland Die vielen Lücken in Israels Sperrzaun
Jahrelang überwanden Tausende Menschen den Sperrzaun im Westjordanland - und reisten so illegal nach Israel ein. Nach mehreren Attentaten wird der recht offene Zaun zum politischen Problem.
Der Palästinenser Tawfiq lebt in Nablus im Zentrum des Westjordanlandes - von dort reist er immer wieder nach Israel, wie er erzählt: Viermal habe er das schon mit einer Genehmigung der Israelis gemacht. Zweimal hingegen sei er illegal eingereist.
Illegal nach Israel einreisen - also ohne Passierschein - war bis vor wenigen Wochen einfach. Ein Handyvideo von Tawfiq zeigt, wie eine Gruppe von Palästinensern durch ein Loch in der israelischen Sperranlage geht. Die Anlage besteht aus Mauern und Zäunen und verläuft an der Grenze zum, aber teilweise auch im besetzten Westjordanland. Israel baute sie während der zweiten Intifada und begründete das mit dem Schutz vor Terroranschlägen.
Doch jahrelang war es ein offenes Geheimnis, dass die Lücken im Zaun problemlos passiert werden können. "Es ist so einfach, als ob man eine Straße überquert", sagte Tawfiq vor einem halben Jahr. "Die israelische Regierung weiß genau, dass viele Menschen jeden Tag illegal nach Israel einreisen."
Ein Palästinenser hält seinen Passierschein hoch - auf der anderen Seite des Sperrzauns deutet ein israelischer Grenzsoldat den Weg.
"Kann nicht immer überall präsent sein"
Bekannt ist auch, dass der Attentäter von Bnei Brak Ende März durch ein Loch im Grenzzaun nach Israel gelangte und anschließend fünf Menschen tötete. Der recht offene Zaun wird nun zum Problem für die israelische Armee und die Regierung. Nach dem Attentat besichtigte Matanyahu Englmann, ein staatlicher Aufseher, die Sperranlage.
"Hier liegt deutliches Versagen vor", konstantierte er. "Mehr als acht Milliarden Schekel (umgerechnet 2,2 Milliarden Euro) wurden investiert. Trotzdem sehen wir Löcher im Zaun. Öffnungen, durch die Tausende Palästinenser gehen." Man werde "Zeuge des andauernden Scheiterns" eines Projekts, das Israels Bürger schützen solle, sagte Englmann.
Die israelische Armee beantwortet Presseanfragen zum Thema eher zurückhaltend. Der Zaun sei dafür da, Israel vor Terroristen zu schützen. Doch die Probleme sind nun dermaßen öffentlich, dass Verteidigungsminister Benny Gantz im Sender KAN deutlich wurde. "Der Schutzwall ist schwer beschädigt und sollte dringend restauriert werden. Das tun wir nach militärischer Priorität und gemäß den Ressourcen, die uns dafür zur Verfügung stehen", sagt er. "Wir sind an allen Fronten aufgestellt. Aber man kann nicht immer zeitgleich und überall mit voller Kraft präsent sein."
Flicken - oder besser nicht?
Benny Gantz deutet etwas an, worin sich die meisten Experten einig sind: Eine Sperranlage, die komplett dicht ist, gibt es nicht. Und vielleicht soll es sie auch nicht geben. Denn natürlich wusste die israelische Armee, was sich in den vergangenen Jahren am löchrigen Grenzzaun zutrug.
"In den vergangenen Jahren kam durch die Löcher so gut wie kein Terror durch. Und deswegen werden sie bei der Armee und dem Verteidigungsministerium ignoriert", sagt der israelische Journalist Ohad Chemo, der beim Fernsehkanal 12 arbeitet.
Seit dem Anschlag von Bnei Brak werden die meisten Löcher in den Zäunen von Soldaten bewacht. Israel steht nun vor einer gar nicht so leichten Entscheidung: Sollen die Löcher überhaupt permanent geflickt werden? Denn ein löchriger Zaun wird von manchen als Beitrag für Israels Sicherheit gewertet. Weil fast alle Palästinenser in Frieden kommen. Sie arbeiten in Israel und bringen Geld und etwas mehr Wohlstand ins Westjordanland. Oder sie wollen einfach nur an den Strand. Dinge, die zu einer Entspannung der Lage beitragen.
Auf der anderen Seite können die Löcher eben auch von Terroristen genutzt werden. Der mutmaßliche Attentäter von Tel Aviv - der drei Menschen tötete und am Morgen von israelischen Sicherheitskräften erschossen wurde - stammt aus Jenin im Westjordanland. Nach israelischen Armeeangaben kam auch er durch ein Loch im Zaun. Nach dem Anschlag dürfte der Druck auf Israels Regierung jedoch steigen, die Lücken permanent zu schließen.