Eskalation in Nahost Welche Rolle der Iran spielt
Seit mehr als einer Woche feuert die Hamas Raketen auf Israel ab. Woher kommen sie - und wie finanziert die Hamas das? ARD-Korrespondentin Katharina Willinger sagt im Interview: Viele Waffen werden inzwischen selbst hergestellt - im Nachbau.
tagesschau.de: Der Iran unterstützt die Hamas im Gazastreifen - wie sieht diese Unterstützung im Einzelnen aus?
Katharina Willinger: Da ist zum einen die verbale Solidarität: Der Staat Israel gilt beiden als Erzfeind, ihm wird das Existenzrecht abgesprochen. Zu Beginn der aktuellen Eskalation telefonierte Irans Außenminister Zarif mit dem Führer der Hamas und betonte, man werde "weiterhin Unterstützung für die Widerstandskämpfer" leisten. Seit vielen Jahren soll die Islamische Republik die Hamas finanziell unterstützen, zuletzt war die Rede von 30 Millionen Dollar im Monat, was immens ist, wenn man in den Iran und auf die dortige Wirtschaftskrise blickt. Und zum anderen: mit Waffen. Beobachter gehen davon aus, dass deren Produktion durch die Gelder aus Teheran mitfinanziert wird und dass der Iran entsprechendes Wissen an die Hamas vermittelt.
Katharina Willinger ist ARD-Korrespondentin in Istanbul und leitet das ARD-Büro in Teheran.
Herstellung vor Ort
tagesschau.de: Wie gelangen die iranischen Waffenlieferungen in den Gazastreifen?
Willinger: Man geht davon aus, dass die meisten Waffen und Raketen vor Ort, also im Gazastreifen, hergestellt werden. Der Küstenstreifen ist ziemlich abgeriegelt, denn seit dem Militärputsch in Ägypten 2013 ist die Grenze weit weniger durchlässig. Vorher sollen auf diesem Weg aber sehr viele Waffen und Bauteile aus dem Iran dorthin gelangt sein, sagt das israelische Militär, aber auch unabhängige Experten. Nun soll die Hamas viele dieser Waffen und Raketen nachbauen können, darunter seit kurzem auch die Variante einer iranischen Kamikaze-Drone, die im Jemen im Einsatz ist - durch entsprechende Ausbildung ihrer Mitglieder im Libanon oder im Iran. Und vermutlich findet auch weiterhin ein Schmuggel von Rohmaterial statt, zum Beispiel über das weitverzweigte Tunnelsystem der Hamas.
Unzufriedenheit und Solidarität
tagesschau.de: Welchen Rückhalt findet diese Unterstützung bei der iranischen Bevölkerung?
Willinger: Es gibt zwei Ebenen: Zum einen gibt es schon seit langer Zeit von großen Teilen der iranischen Bevölkerung Kritik an den Geldzahlungen, die Teheran an die Hamas oder die Hisbollah leistet. Sie beruht vor allem darauf, dass Gelder in Krieg und Waffen gesteckt werden, während es im Iran eine handfeste Wirtschaftskrise gibt und es der Bevölkerung immer schlechter geht. Vor einige Monaten ging eine Karikatur durch die sozialen Netzwerken: Sie zeigt eine Rakete auf dem Tisch einer iranischen Familie. Die Eltern schneiden mit einem Messer Scheiben ab, als Brotersatz sozusagen.
Die andere Ebene umfasst den Grundkonflikt zwischen Israel und den Palästinensern: Auch wenn viele Iraner im Gegensatz zu ihren politischen Führern diese Feindschaft gegen Israel nicht mittragen, die Sympathien und die Solidarität in der aktuellen Eskalation gelten überwiegend den Palästinensern. Das trifft sicher nicht auf alle Iraner zu, aber viele, auch solche, die das eigene System ablehnen, kritisieren derzeit vor allem das Vorgehen Israels im Gazastreifen gegen die Zivilbevölkerung und sehen die Siedlungspolitik als Auslöser für die Eskalation. Hinzu kommt, dass iranische Medien natürlich sehr einseitig über die Geschehnisse berichten.
Atomgespräche im Blick
tagesschau.de: Wie agiert die iranische Führung in der aktuellen Eskalation?
Willinger: Es gab offiziell Telefonate mit der Hamas, Solidaritätsbekundungen und auch Tweets des Revolutionsführers, in denen zum gewaltsamen Widerstand aufgerufen wird. Auch hat der iranische Außenminister einen Besuch in Österreich abgesagt, weil die Regierung dort an ihren Gebäuden Israel-Flaggen gehisst hat. Aber öffentliche Reaktionen gegen Israel hat man in der Vergangenheit schon viel heftiger aus Teheran erlebt.
Ich denke, man befeuert die Eskalation von politischer Seite derzeit vor allem im Hintergrund, um die Gespräche rund um das Atomabkommen in Wien nicht zu gefährden. Anders ist das bei militärischen Akteuren, zum Beispiel der Revolutionsgarde und deren Auslandseinheit, den Kuds-Brigaden, die in der Region islamistische Kräfte unterstützen. Sie haben der Hamas wiederholt öffentlich zu "Erfolgen gegen Israel" gratuliert und uneingeschränkte Unterstützung zugesichert, und die ist natürlich militärischer Natur.
Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de